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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni
Autoren: Grünschnabel
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Mein Vater hat …
    M EIN VATER HAT MICH für 365.– Franken von der Stadt gekauft. Das ist viel Geld für ein Kind, das keine Augen im Kopf hat. Ich habe das die Eltern möglichst lange nicht wissen lassen. Es ist nicht gut, schon in der Tür alle Hoffnungen zu zerstören, wenn man Tochter werden soll. Das hat uns die Chefin eingebläut. Bei ihr können wir nicht bleiben. Wir sind zu viele, müssen unter die Leute. Solche mit schönen Augen gehen gut, die mit dichtem Haar und guten Zähnen. Wir müssen aber auch etwas im Kopf haben. Er ist das wichtigste Organ. Er kann einen Arm ersetzen.
    Nicht alle Menschen sind gleich. Bei den Eltern ist das wichtigste Organ die Geduld.
    Als ich abgeholt wurde und vor dem Zaun die frischen Eltern warteten, nervöser als der Hund der Chefin, beugte sie sich zu mir runter und flüsterte:
    – Du wirst jetzt Tochter. Von dort ist es nicht mehr weit bis ins Leben.
    Sie fuhren mich mit meinem neuen Koffer in ihre Wohnung. Sie hatten mich schon zur Probe gehabt wie später die Couchgarnitur mit dem gelben Plüschbezug, an der sie fast so lange abzahlten wie an mir. Ich war froh darüber, dass sie sich gleich für mich entschlossen, nachdem sie es mit mir versucht hatten, und dass sie erst mit den Couchgarnituren wählerisch wurden. Zweimal ließen sie eine zurückgehen. Einmal wegen der Farbe und einmal wegen des Komforts.
    Sie sah während der Fahrt zum Fenster hinaus und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Nur manchmal drehte sie sich nach mir um und lächelte verlegen, fragte, ob mir der Wackeldackel auf der Ablage gefällt.
    Ganz im Gegensatz dazu fragte er mir Löcher in den Bauch, wie dies heißt und das, ob ich das kenne oder jenes. Ich tat, als würde ich schlafen.
    Er wollte mir auf den Zahn fühlen. Sie wollen immer herausfinden, ob sie das große Los gezogen haben oder eine Niete.
    – Das lässt sich nicht verhindern, hatte die Chefin gesagt, als ich nach drei Wochen von Leuten zurückkam, die ein Kind gebraucht hätten.
    Sie hatten mich eine Straße früher abgesetzt. Sie hatten es eilig gehabt, kein Kind mehr zu haben, ich hatte ihnen einen solchen Schrecken eingejagt. Die Chefin kratzte mir die Salzränder von den Wangen.
    – Ein Kind ist eine Anschaffung fürs Leben.
    Ob die hier das wussten? Ich machte ein Auge auf, schielte auf die Vordersitze, wo sie saßen. Sie rauchend, er den Griff des Lenkrades knetend. Ich machte das Auge wieder zu.
    Er sagte leise:
    – Sie hat ja keine Ahnung von Sprache.
    – Sie kennt doch die Welt noch nicht, antwortete sie.
    Die Chefin hatte auf Sprache keinen Wert gelegt, sie bekam davon Kopfschmerzen. Ich war an Wörtern knapp. Aber daran sind die Augen schuld, sie sehen schlecht. Meine neuen Eltern waren deshalb beunruhigt. Sie brachten mich zum Arzt, um mich durchleuchten zu lassen, ob das Gehirn da ist: In etwa sagte der Arzt, dass, wenn man nicht geboren wird wie ich, sondern durch die Tür in eine Familie kommt, sich Entwicklungen eben hinziehen können. Das wollten sie nicht wahrhaben.
    Er zeigte in den Himmel. Das Blau war mit Lärm gefüllt.
    – Da, schau, ein Flugzeug.
    Ich kniff die Augen zusammen, schaute auf seinen Zeigefinger und begann zu schwitzen. Ich bückte mich, zog den Schnürsenkel auf und versuchte, ihn neu zu binden, er rutschte mir aus den Fingern, ich verknotete ihn.
    – Siehst du es nicht?
    Ich verknotete den Schnürsenkel doppelt.
    – Es ist gut, sagte er. Komm.
    Ich ging hinter ihm ins Haus zurück. Wir hatten vorhin in seinem ganzen Stolz gestanden. Der Garten war nicht größer als die Küchenschürze von der dicken Köchin Helene, aber wegen dem grünen Daumen meines Vaters und der Kuhscheiße wuchs das Gemüse, als müsste es den Abendzug nach Paris kriegen.
    Er setzte sich aufs Sofa und klopfte neben sich aufs Polster. Einen Arm um mich gelegt, schlug er einen Flughafenprospekt auf.
    – Was meinst du, was ist das?
    – Papier.
    Am Samstag packte er mich in den Toyota und fuhr mit mir zum Flughafen, damit ich ein Flugzeug sehen konnte.
    Wir fuhren oft los, um Wörter aufzutreiben. Sie fuhr auch mit, aber sie langweilte sich dabei, weil sie alle Wörter schon kannte. Sie rauchte im Auto, bis der Qualm zum Schneiden dick war. Dann kurbelte er das Fenster herunter, und sie zog die Kaninchenfelljacke an. Sie hatte auch immer eine Plastikhaube dabei. Er trug nicht gern Plastikhauben. Er mochte den Regen. Er mochte es, den Regen im Gesicht zu spüren, verschenkte am Laufmeter Wörter dazu:
    – Beim
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