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Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)

Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)

Titel: Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
Autoren: Birgit Hasselbusch
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Es stimmt, dass Geld nicht glücklich macht.
    Allerdings meint man damit das Geld der anderen.
    George Bernard Shaw
    Während der Müllwagen an der Straßenecke einen gelben Sack verschluckte, stellte ich fest, dass mein Angebeteter verschwunden war. Ich stand auf dem Balkon, in einen flauschigen weißen Bademantel gehüllt, und blickte durch mein kleines Opernglas. Immer noch weg.
    Er hatte sich doch so lange nicht von der Stelle gerührt. Typisch für mich: wieder mal kein Glück gehabt. Sich so ganz ohne Vorwarnung einfach aus dem Staub zu machen! Es ärgerte mich maßlos. Wahrscheinlich hätte ich mich klarer zu ihm bekennen sollen. Ehrlich gesagt war er mir ans Herz gewachsen. Ich hätte mir sogar ein ganzes Leben mit ihm vorstellen können, aber wie so viele vor ihm hatte auch er eine Macke, die ich zuerst nicht wahrhaben wollte: Er wollte einfach zu viel. Und ich konnte nicht so viel geben, wie er verlangte. Jetzt hatte ihn mir eine andere weggeschnappt!
    Eilig schlüpfte ich in Jeans, T-Shirt und Turnschuhe und sprintete die zweiundsiebzig Treppenstufen aus dem dritten Stock hinunter auf den Gehweg. Der Müllwagen bremste kreischend, als ich achtlos über die Straße lief. Den Zeitungsladen ließ ich links liegen, den Brillenladen ebenfalls, bis ich mein Ziel erreicht hatte.
    »Wo ist er?«, rief ich zusammen mit dem Quietschen der Tür. Ich klang so schrill wie eine rachsüchtige Ehefrau, die in eine fremde Wohnung stürmte, um ihren Mann in flagranti zu ertappen.
    »Weg!«, antwortete Anna lapidar. »War doch klar. Du wolltest ihn ja nicht.«
    »Ja, ja, hab ich gesaaagt. Aber doch nicht so gemeiiiint!« Sie hatte recht, hätte aber meines Erachtens mitfühlender reagieren können.
    »Nimm doch einen anderen«, bot sie mir an und machte eine vage Handbewegung in die Runde. Verzweifelt blickte ich mich um, entdeckte nichts Gleichwertiges und erklärte ihr, dass ich nur ihn wollte. Insgeheim hatte ich gehofft, sie hätte ihn nur aus dem Schaufenster genommen.
    »Verkauft!«, warf mir Anna an den Kopf.
    »Aber so plötzlich?«, maulte ich.
    »Mann, Jule, du spinnst doch total. Wenn’s nach dir ginge, könnte ich den Laden hier dichtmachen. Ich muss die Schuhe doch verkaufen. Damit verdiene ich mein Geld. Verstehst du?« Sie sprach sehr langsam und sehr deutlich. »Du hättest dir den Stiefel eh nicht leisten können.« Schon wieder hatte sie recht. Als Radioreporterin sah man zwar die Welt, verdiente sie aber nicht.
    »Hast du ihn echt für zweihundertneunundvierzig Euro verkauft?«, fragte ich ungläubig. Sie nickte und legte mir mitfühlend die Hand auf den Arm, so als wäre ich eine ältere Frau, der sie gerade mitteilen musste, Alzheimer zu haben. Die würde sich an die Schuhe wenigstens nicht mehr erinnern.
    Ich hatte so lange mit mir gehadert, die Stiefel waren perfekt, sie lenkten sogar von meinen dicken Knien ab, ich war sie so oft Probe gelaufen wie andere Kaffee tranken. Mokkabraunes Wildleder mit einem angedeuteten Inka-Muster. Nur der Preis ging gar nicht.
    »Wer hat ihn?«
    »Weiß ich doch nicht. Irgendeine Frau mit dünnen Beinen und dickem Portemonnaie.«
    Grußlos und mit hängendem Kopf verließ ich den Laden. Da der Kopf schon unten war, scannte ich die Füße der weiblichenPassantinnen, um möglicherweise meinen Liebsten an der anderen Frau zu erspähen. Was geschehen würde, wenn sie mir jetzt über den Weg liefe, wagte ich mir nicht auszumalen. Zu unangenehm die Vorstellung, morgen könnte die Schlagzeile in der Zeitung prangen: »Hackentrick: Frauen prügeln sich auf offener Straße um ein Paar Stiefel!« Vielleicht wäre das sogar eine Meldung bei meinem Radiosender wert.
    Auf der ersten Seite der ›Hamburger Morgenpost‹ las ich, dass es der HSV am Wochenende wieder mal vergurkt hatte. Daneben die Wetteraussichten, Lottozahlen, ein Bericht über eine Kita, die dichtmachen musste, und der Hinweis auf das Fernsehprogramm.
    Ich nahm die Zeitung aus dem Ständer, ging in den Kiosk, schnappte mir dort aus dem kleinen Kühlregal einen Liter Milch, bezahlte, klemmte mir Zeitung und Milch unter den Arm und trottete zurück auf meine Straßenseite. Beim Bäcker nebenan ließ ich mir zwei Sesam-, ein Mohnbrötchen und ein Croissant eintüten.
    Die Müllmänner bogen gerade um die Ecke, als Frau Resche aus unserer Haustür Nummer 182 trat.
    Sie trug einen roten, zeltartigen Mantel, eine weite, unmoderne Hose und braune Gesundheitsschuhe. Nach hinten zog der Duft ihres süßlichen Parfums, vorne
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