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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
Autoren: Ursula Steen
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Kapitel 1: Vor neuneinhalb Jahren
     
    Als Sergeant Meyer seinen dreistündigen Vortrag über das Thema Möglichkeiten erkennen - Kräfte nutzen noch mal zusammenfasste, sah Claudia ihn skeptisch an.
    Der Mann gehörte zu den führenden Mental- und Motivationstrainern Amerikas und konnte nicht oft genug betonen, dass er sich diesen Ruf hart erarbeiten musste. Während des Zweiten Golfkriegs hatte er als Scharfschütze in der US-Army gedient und sogar eine Tapferkeitsmedaille erhalten. Die Erfahrungen, die man im Krieg sammeln könne, ließen sich ohne Weiteres auf das Geschäftsleben übertragen, behauptete er. Auch sie als Vertriebsmitarbeiter konnten sich zu einer kampffähigen Truppe formieren und ihre Mission erfüllen. Wenn sie an einem Strang zogen. Wenn sie ein Team bildeten, das nichts und niemand aufzusprengen vermochte.
    Die amerikanischen Haverpore -Kollegen applaudierten begeistert, aber die Europäer und Skandinavier saßen nur mit verschränkten Armen da und kauten auf ihren Unterlippen.
    Nach der Zusammenfassung beendete Sergeant Meyer seine Präsentation. Das hieß aber nicht, dass die Seminarteilnehmer jetzt entlassen wurden. Im Gegenteil, er ließ die Außenjalousien herunterfahren und beamte einen Film an die Wand: die Bombardierung Bagdads während des Zweiten Irakkriegs, aufgenommen aus der Vogelperspektive und ausgeführt von hervorragend ausgebildeten und motivierten Elitesoldaten, die hundertprozentig aufeinander eingeschworen waren und reibungslos funktionierten. Als er seine Kommentare zu den einzelnen Szenen abgab, steigerte er sich in einen wahren Rausch hinein.
    „Ich jette doch nicht um den halben Globus, um mir diesen Scheiß hier anzutun“, sagte Claudias Kollege Frank irgendwann und betrachtete den Golfkriegsveteranen missmutig. Maike, die Chefin der süddeutschen Vertriebsgebiete, drehte sich um und warf ihm einen vielsagenden Blick zu, aber er war nicht mehr zu bremsen. Auch die anderen Account Manager machten ihrem Ärger immer öfter und lauter Luft. Der Einzige, der sich recht schweigsam verhielt, war Claudias neuer Kollege René. Er saß neben ihr, blickte gedankenverloren ins Nichts und legte bisweilen den rechten Knöchel auf den linken Oberschenkel und umgekehrt.
    Als er merkte, dass sie ihn verstohlen musterte, drehte er den Kopf herum und lächelte sie an. Wo bin ich hier bloß reingeraten?, fragten seine Augen. Sie zuckte in spielerischer Ratlosigkeit die Schultern und lächelte zurück. Dann wandte sie den Blick ab. Um ihn gleich darauf wieder auf ihn zu richten. Aber er reagierte nicht mehr darauf, sondern ließ seine Augen zwischen der Raumdecke und seinen Fußspitzen hin und her wandern. Da beugte sie sich vor und tat so, als würde sie Sergeant Meyer zuhören.
    Der war inzwischen restlos entflammt und schlug den Anwesenden mit vor Begeisterung bebender Stimme seine Leitsätze und Durchhalteparolen um die Ohren. Dann brach er plötzlich ab, schob den Lautstärkeregler seines Laptops bis zum Anschlag nach oben und ließ die Bilder und Töne des Films für sich sprechen. Während die Koalition der Willigen Bagdad in Schutt und Asche legte, leisteten die Soundboxen rechts und links der Leinwand ganze Arbeit. Der Fußboden und die Wände vibrierten, die Fensterscheiben klirrten und die protestierenden Haverpore -Mitarbeiter verstanden ihr eigenes Wort nicht mehr. Was für ein Höllengetöse! Wie das rumste und krachte und gewitterte! Ein Treffer folgte auf den anderen, Fabriken, Straßen und Autos flogen durch die Luft und die Iraker rannten wie aufgescheuchte Ameisen durch die Szenerie ...
    Irgendwann stöhnten die Skandinavier vielstimmig auf und wollten in geschlossener Formation den Raum verlassen. Auch die Mitteleuropäer hatten die Nase voll. Nur die Amerikaner trommelten weiter mit einer an Besessenheit grenzenden Inbrunst auf ihren Tischen herum.
    „Kriegslüsterne Bande!“, rief Frank in den allgemeinen Tumult hinein, sodass Maike sich erneut umdrehte und ihn strafend ansah.
    In diesem Moment beendete Sergeant Meyer die Vorstellung. Er fuhr die Jalousien wieder nach oben, schlug mit zackigem Gehabe die Hacken vor der versammelten Kompanie zusammen und wünschte ihr noch ein paar schöne Tage im sonnigen Südflorida.
    Als die Account Manager in die lichtdurchflutete Lobby des Tagungshotels drängten, stand ihnen der Schreck noch ins Gesicht geschrieben. Auch Claudias neuer Kollege war etwas gelblich-blass um die Nase herum.
    „Puh“, sagte er und atmete tief
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