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Sturm

Sturm

Titel: Sturm
Autoren: Claudia Kern
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senkte sich im Rhythmus ihres Atems.
    Oso erwartete ihn vor der Tür. Er weinte unter seinem Schleier. »Habt Ihr es schon gehört, Herr? Müssen wir jetzt alle sterben?«
    »Natürlich nicht«, sagte Craymorus, bereute jedoch sofort seinen barschen Ton. »Die Nachtschatten sind weit weg, Oso. Wir werden sie schlagen, bevor sie Westfall zu nahe kommen.«
    »Womit, Herr?«
    Es war eine berechtigte Frage. Craymorus hatte keine Antwort, also wechselte er das Thema. »Ich muss der Fürstin mein Beileid aussprechen. Welche Kleidung trägt man in Westfall zu einem solchen Anlass?«
    »Ich habe sie schon zurechtgelegt, Herr.«
    Oso ließ Craymorus und die Gardisten eintreten und schloss die Tür hinter sich. »Sie liegt auf dem Stuhl.«
    Craymorus blieb stehen. Gelb karierte Hosen, ein grünes Hemd und ein schwarzer Schleier lagen vor ihm. »Ist das wirklich angebracht?«, fragte er zögernd.
    »Ja, Herr, so ist es Brauch hier.«
    »Nun gut.« Er ließ sich von Oso beim Anziehen helfen und legte den Schleier auf seinen Kopf. Er war an den Seiten mit kleinen Perlen beschwert, damit er nicht vom Wind davongeweht werden konnte.
    »Sobald die Trommeln geschlagen werden, wird die Fürstin vor ihr Volk treten und die Nachfolge verkünden.«
    »Nachfolge?« Craymorus knöpfte das Hemd zu. Es war warm und dunkel unter dem Schleier. »Rickard ist der neue Fürst. Solange wir nicht sicher wissen, dass er tot ist, kann es keinen anderen Fürsten geben.«
    Oso senkte den Kopf. »Wir alle beten für ihn.«
    Draußen auf den Mauern begann dumpfer, monotoner Trommelschlag. Craymorus sah aus dem Fenster und blinzelte überrascht. Alles war voller Menschen, der Burghof, die Mauern, der Hügel, der zur Burg hinaufführte. Sie trugen Schleier und bunte Kleidung und waren so still, dass er sie erst jetzt bemerkte. Nur die Haupttreppe war von Soldaten abgeriegelt worden. Dort stand ein leerer Thron, der von zwei Soldaten in polierter Paraderüstung flankiert wurde.
    Craymorus nickte den Gardisten zu. »Ich bin fertig.«
    Er zog sich neben ihnen durch die Gänge bis zur Haupttreppe. Soldaten traten beiseite, um ihn durchzulassen. »Geht bitte bis nach unten durch«, sagte der Wachkommandant. »Hier oben darf nur die Fürstin stehen.«
    »Natürlich.« Craymorus setzte die Krücken auf die erste Stufe, drehte sich jedoch um, als jemand ihm die Hand auf die Schulter legte.
    »Wir hoffen, Ihr habt heute keinen Wein getrunken«, sagte Cascyr. Er wirkte unangemessen fröhlich unter seinem Schleier.
    Craymorus lächelte knapp und setzte seinen Weg fort.
    Die Menschen machten ihm Platz, als er zwischen sie trat. Es war überwiegend das einfache Volk, das sich auf dem Burghof versammelt hatte, aber Craymorus entdeckte auch einige Adlige und Beamte zwischen ihnen. In der Trauer schienen selbst in Westfall alle gleich zu sein.
    Fast alle, dachte er, als die Fürstin neben den Thron trat. Sie trug ein Kleid, das mit Edelsteinen besetzt war. Sie funkelten in der Morgensonne und ließen die Gestalt der Fürstin vor den Augen verschwimmen. Einige Frauen atmeten tief ein und begannen miteinander zu flüstern. Craymorus verstand nicht, was sie sagten.
    Zwei Priester traten neben die Königin. Sie sangen in der alten Hochsprache Westfalls, priesen Balderick und seinen Sohn Rickard. In den Händen trugen sie zwei Hühner, deren Flügel man an die Körper gebunden hatte.
    »Ist Rickard auch tot?«, fragte ein Mann neben Craymorus. Ein anderer nickte. »Ja.«
    »Nein«, sagte ein dritter.
    Craymorus mischte sich nicht ein.
    Auf der Treppe bissen die Priester gleichzeitig den Hühnern die Kehlen durch. Blut spritzte über ihre Gesichter und über die Treppe. Sie schwenkten die zitternden Vögel, bis sie erschlafften und der Blutstrom versiegte. Der dumpfe Trommelschlag verhallte.
    »Ihr habt das Blut der Vögel gesehen und den Willen der Götter vernommen«, rief einer der Priester. »Rund ist die Spur, die sie hinterlassen haben, rund wie der Torbogen, durch den große Krieger in das ewige Leben schreiten. Trauert nicht um Balderick und Rickard, denn sie werden den Göttern den Weg bereiten, wenn der letzte Sommer beginnt.«
    Der Jubel war verhalten. Das Volk schien es mehr zu interessieren, wer sie in diesem Leben verteidigen würde.
    »Hört die Worte eurer Fürstin«, sagte der zweite Priester. Tief verneigte er sich.
    Syrah trat vor. »Ihr wisst, dass Trauer mein Herz zerreißt und meine Augen darauf brennen, die Kadaver unserer Feinde in der Sonne verrotten zu
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