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Sturm

Sturm

Titel: Sturm
Autoren: Claudia Kern
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Dreck. Staub legte sich auf seine Kehle und verklebte seine Augen. Der Reiter, der auf dem Pferd saß, schien ihn nicht zu bemerken, war zu sehr damit beschäftigt, mit dem Tier zu ringen.
    »Sie kommen!«
    Der Ruf wurde hundertfach aufgenommen. Gerit warf sich zur Seite, vorbei an den Hufen, und kam auf die Knie. Durch tränende Augen sah er, wie die Nachtschatten aus den Hügeln strömten. Sie waren schnell, schneller als ein Mensch, schneller als ein galoppierendes Pferd.
    »Verteidigungsformation!«, schrie Balderick. Er war so nahe, dass sein Speichel Gerit ins Gesicht spritzte. Eine Schwertspitze stach neben ihm in die Luft. Er warf sich nach vorn, flüchtete unter Baldericks Pferd und griff nach dem Sattelriemen. Ein Huftritt traf seinen Arm, ein zweiter seinen Rücken. Er spürte die Schmerzen kaum.
    Das Pferd machte einen Satz, riss ihn mit sich, brach zur Seite aus.
    Gerit konnte sich nicht mehr festhalten und ließ los. Er rollte durch den Staub, zwischen den Hufen hindurch. Nachtschatten sprangen über ihn hinweg, warfen sich wie Wölfe auf die Pferde. Einer von ihnen drehte ab und blieb auf allen vieren vor Gerit stehen. Seine Schnauze war voller Blut. Er knurrte.
    Gerit wich zurück. »Ich bin einer von euch!«, schrie er. »Ich gehör zu euch!«
    Der Nachtschatten sprang. Etwas Dunkles traf ihn noch in der Luft und schleuderte ihn zur Seite. Geschickt drehte er sich, landete auf den Beinen, setzte wieder an und blieb stehen.
    Gerit sah auf. Schwarzklaue richtete sich vor ihm auf. »Er gehört zu uns«, sagte er.
    Der Nachtschatten nickte und wandte sich ab.
    »Du solltest doch einen roten Schal tragen.«
    Gerit hustete. Sein Arm schmerzte. »Ich hab ihn verloren.«
    Schwarzklaue winkte einige Nachtschatten heran. »Passt auf ihn auf. Wenn wir heute siegen sollten, dann ist das sein Verdienst.«
    »Ja, Schwarzklaue«, sagte einer von ihnen. Sie richteten sich auf und bildeten eine Phalanx um ihn, so wie die Reiter es bei Balderick getan hatten. Einer reichte ihm einen Wasserschlauch.
    Gerit trank, bis er fast leer war. Dann übergab er sich in den Staub und trank den Rest.
    Zwischen den Nachtschatten hindurch beobachtete er die Schlacht. Es war Chaos, eine wogende Masse aus Menschen, Nachtschatten, Pferden und Schwertern. Der Lärm Tausender, die aus Wut oder Verzweiflung schrien, betäubte ihn beinahe. Über ihren Köpfen stiegen Rauchschwaden auf. Jemand musste die Belagerungsmaschinen angezündet haben, um der Armee den Rückzug abzuschneiden. Eingekesselt zwischen den Nachtschatten auf der einen und den Flammen auf der anderen Seite, kämpften die Soldaten um ihr Leben. Dort, wo die Schlacht tobte, verwandelte Blut den Staub in Schlamm.
    Nach einer Weile gaben die Nachtschatten um Gerit herum ihre Phalanxformation auf und setzten sich. Die Kämpfe hatten sich weit genug von ihnen entfernt.
    »Was hast du gemacht?«, fragte derjenige, der ihm den Wasserschlauch gereicht hatte.
    Gerit neigte den Kopf. »Ich habe einen Satz gesagt und einen anderen nicht.«
    Die Nachtschatten sahen sich an, fragten aber nicht weiter.
    Bei Sonnenuntergang stand fast kein Soldat mehr. Eine kleine Gruppe Infanteristen hatte die Waffen abgelegt und kniete mit erhobenen Händen zwischen den Toten. Jedes Mal, wenn ein Nachtschatten an ihnen vorbeilief, riefen sie um Gnade, aber niemand beachtete sie. Die Nachtschatten schienen auf dem Weg zur anderen Seite der Schlacht zu sein.
    »Kommt, das sehen wir uns an«, sagte der Nachtschatten, der neben Gerit gesessen hatte, und stand auf. »Ich hab die ganze Schlacht auf meinem Arsch verbracht, ich will wenigstens das Ende sehen. Kommt ihr mit?«
    Alle nickten, auch Gerit. Sie fingen ihm ein Pferd ein und halfen ihm beim Aufsteigen. Er hatte fast kein Gefühl mehr in seinem Arm.
    »Wartet hier«, sagte er, als sie an den Soldaten vorbeiritten. »Euch wird nichts geschehen.«
    Er wusste nicht, ob das stimmte.
    Das Ausmaß der Schlacht überwältigte ihn. Tote und Verletzte lagen übereinander und nebeneinander, manchmal so dicht, dass er den Boden nicht mehr erkennen konnte. Der Gestank raubte ihm den Atem. Das Pferd schnaubte und tänzelte, rutschte immer wieder im blutigen Schlamm aus.
    Ich war das, dachte Gerit. Der Gedanke war so gefühllos wie sein Arm.
    Schließlich sah er, wohin die Nachtschatten gelaufen waren, dorthin, wo Fürst Balderick und seine Reiter ihren letzten Kampf kämpften. Nur noch zwei Offiziere saßen auf ihren Pferden, als Gerit sie entdeckte. Sie schützten
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