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Sturm

Sturm

Titel: Sturm
Autoren: Claudia Kern
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gegrabenen Erdlöchern. Patrouillen liefen schnell wie Pferde zwischen ihnen hindurch. Überall standen Wasserfässer und Karren voll mit Vorräten. Der Geruch nach Essig und Urin war überwältigend.
    »Wie viele sind es?«, fragte Korvellan die Frau, die neben ihm auf allen vieren lief.
    »Ich weiß es nicht, aber es werden täglich mehr. Gestern sind fünfzig aus einem Nest in Noderland eingetroffen.«
    »Nest?«, fragte Gerit.
    Sie antwortete erst, als Korvellan auffordernd nickte. »Das sind geheime Orte, an denen sich die treffen, die unentdeckt unter Menschen leben müssen.« Sie neigte den Kopf. »Der General hat das erste vor vielen Jahren in Westfall gegründet. Meine Mutter wurde dort aufgenommen. Ohne die Nester wäre eine solche Zusammenkunft wie hier nicht möglich gewesen.«
    »Wieso …« sind sie alle hier?, wollte Gerit fragen, unterbrach sich dann jedoch. Korvellan hatte gewusst, dass er die Nachtschatten nicht ohne große Verluste nach Somerstorm bringen konnte, deshalb hatte er es noch nicht einmal versucht. Aber warum hatte er sie stattdessen an diesen Ort weit weg von Somerstorm befohlen? Was erhoffte sich der General von dieser Entscheidung?
    Er bemerkte, dass Korvellan ihn aus den Augenwinkeln musterte. Er schien auf etwas zu warten. Gerit drehte sich im Sattel um, blickte auf den Weg zurück, den sie gekommen waren. Etwas südlich davon befand sich ein langes, schmales Tal, durch das sich eine Straße zog. Gerit folgte ihr mit dem Blick. Sie führte von Süden hinein und nach Norden, in Richtung Braekor und Somerstorm, hinaus. Es war eine Straße, groß und breit genug für eine Armee.
    Er atmete tief durch. »Du willst Balderick angreifen.«
    Korvellan nickte und schwieg.
    Die drei Nachtschatten führten sie durch das Lager. Gerit bemühte sich, ruhig zu bleiben. Er war der einzige Mensch an diesem Ort. In der Festung war ihm das kaum noch aufgefallen, auf dem Weg durch das Lager fühlte er sich mit jedem Blick, mit jeder geflüsterten Bemerkung unsicherer und fremder.
    Schwarzklaues Zelt unterschied sich nicht von den anderen. Er saß davor auf einem Bärenfell, hatte einige Karten vor sich ausgebreitet und mit Steinen beschwert. Als er Korvellan sah, stand er auf.
    »Mein Freund!«
    Gerit glaubte, Schwarzklaues Stimme müsse bis ins Tal zu hören sein. Er stieg ab und gab die Zügel seines Pferdes einem Nachtschatten. Korvellan ließ sein Pferd stehen und umarmte Schwarzklaue.
    »Wie viele?«, fragte er.
    »Fünfeinhalbtausend.« Schwarzklaue grinste, dann fiel sein Blick auf Gerit. Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. »Also hast du uns nicht verraten.«
    Korvellan antwortete an seiner Stelle. »Er hat seine Wahl mit Ehre und Weisheit getroffen. Dein Vertrauen wurde nicht enttäuscht.«
    »Es war dein Vertrauen, nicht meines«, sagte Schwarzklaue. »Ich wollte ihn töten.«
    Er lachte. Korvellan stimmte nicht mit ein. »Willst du ihn immer noch töten?«, fragte er.
    Schwarzklaue zögerte. Gerit musste seinen ganzen Mut aufbringen, um nicht wegzulaufen.
    »Nein«, sagte der Nachtschatten nach einem Moment. Er schlug Korvellan auf die Schulter. »Ich vertraue dir, du vertraust ihm. Mehr ist dazu nicht zu sagen.«
    »Und das gilt für euch alle!«, rief er den Nachtschatten, die in der Nähe standen, zu. »Dieser Mensch wird behandelt wie einer von uns, versteht ihr? Der General vertraut ihm, ihr also auch.«
    Verhaltenes Nicken antwortete ihm. Nachtschatten ließen sich nicht gern sagen, was sie zu denken hatten, noch nicht einmal von einer Legende wie Schwarzklaue.
    Korvellan beugte sich bereits über die Karten. »Wo ist Balderick?«, fragte er.
    Schwarzklaue hob die Schultern. »Wir wissen es nicht. Die Späher haben ihn noch nicht gesehen.«
    »Wie weit hast du sie ausgeschickt?«
    »Drei Tagesmärsche.«
    »Wann erwartest du die nächsten zurück?«
    »Heute Abend.« Schwarzklaue streckte sich. »Mach dir keine Gedanken. Er wird kommen. Du kennst ihn zu gut, um dich zu irren.«
    »Ja, du hast Recht.« Gerit fragte sich, ob er der Einzige war, der den plötzlichen Zweifel in Korvellans Augen sah.
    Sie warteten drei Tage, dann vier. Jeden Abend kamen Späher zurück, jeden Abend schüttelten sie nur stumm die Köpfe.
    Am fünften Tag hörte Gerit Korvellan sagen: »Ich glaube nicht, dass er noch kommt.«
    Schwarzklaue bat ihn zu warten.
    Die Nachtschatten hatten ihnen Zelte und Decken gegeben. Gerit hatte sie nebeneinander aufgestellt, schlief aber meistens in einem leeren Karren
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