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Werther, der Werwolf - Roman

Titel: Werther, der Werwolf - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Am 4. Mai 1771.
    Bester Freund, was ist das Herz des Menschen! Dich zu verlassen, den ich so liebe, von dem ich unzertrennlich war – und froh zu sein! Ich weiß, Du verzeihst mir’s. Eine wunderbare Heiterkeit hat meine Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich allhier mit ganzem Herzen genieße. Ich freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist wie die meine. Ich bin so glücklich, mein Bester, so ganz in dem Gefühl des ruhigen Daseins versunken, wäre der lästige Hundebiß nicht, den ich mir, unachtsam während unsinnigen Spiels, zugezogen, und um dessentwillen ich den linkenArm in der Schlinge trage.Aber die Einsamkeit in dieser paradiesischen Gegend ist meinem Herzen köstlicher Balsam, die Jahreszeit der Jugend wärmt mit aller Fülle mein oft schauderndes Herz. Jeder Baum, jede Hecke ist ein Strauß von Blüten, und man möchte zum Maikäfer werden, um in dem Meer vonWohlgerüchen herumschweben und all seine Nahrung darin finden zu können. Fragst Du, wie die Leute hier sind, muß ich Dir sagen: wie überall. Ich habe allerlei Bekanntschaft gemacht, Gesellschaft habe ich noch keine gefunden. – –
    Von dem Hunde, der an dem Mißgeschick weniger Schuld trägt als ich und meine mutwilligen Späße, laß Dir sagen, daß es der Jagdhund des verstorbenen Grafen von W . gewesen, mit welchem der Dahingegangene gern durch dieWaldungen gestreift, die herrlich, auf Hügeln angelegt, mit der schönsten Mannigfaltigkeit sich kreuzen und die lieblichstenTäler bilden. Der Hund, wegen seines abgrundschwarzen Felles Nero gerufen, soll dem Grafen in solchem Maß ergeben gewesen sein, daß er nach dessenTod selbst sterbenselend wurde und das Gesinde keine Hoffnung mehr für ihn hatte.Als kürzlich aber wonnige Frühlingstage demWinter seine Macht abrangen, durchpulste auch das trauerndeTier neuer Lebenshauch und zaghaft, so erzählt der Gärtner, begann Nero zu fressen. Nachdem ich des Hundes auf dem Porträt in der Halle, das den Grafen vor demAusritt zur Jagd abbildet, zum ersten Mal ansichtig worden, fand ich Nero abseits des Hauptzwingers in einem sauber gehaltenen Gehege, wo er die Zeit bis zur vollständigen Genesung verbringt.
    Ein merkwürdiges Ungestüm nimmt meine Seele in diesenTagen ein, sodaß ich, aller Regeln derTierpflege uneingedenk, den Riegel löste und Nero einen Besuch abstattete. Das mächtigeTier hob den Kopf, und ich versichere Dir,Wilhelm, nie habe ich in klügere, wissendereAugen geblickt, die, von brauner Pupille, durch honiggelbe Einsprengungen eine magischeAusstrahlung erfuhren. Mir war, als blickte ich einen tierischen Bruder an, der, durch viele Leben gegangen, mir anWeisheit und Erfahrung überlegen. Mich kam die Lust an, gleich dem Grafen mit dem erstarkenden Nero durch die Flure zu streifen; so nahm ich sein Halsband vom Haken und war im Begriff, es ihm umzulegen. Kaum näherte ich mich ihm mit dem Bande, wand dasTier Hals und Brust nach allen Seiten, als wollte es um keinen Preis wieder eingespannt sein ins Geschirr. Ich lockte und neckte wohl zu heftig, denn als ich den Lederriemen erneut um seinen Nacken legte, fuhr das Maul des Schwarzen mit solcher Schnelligkeit hoch, daß bloßesAuge es kaum wahrnahm, und mächtige Zähne gruben sich in die Handfläche unterhalb meines Daumens.
    Mein Erschrecken wandelte sich augenblicks in Übelkeit; die Hand, aus der das Blut schoß, gegen die Brust pressend, verließ ich den Zwinger und vergaß, hinweglaufend, den Riegel vorzulegen. Erster Beistand wurde mir durch den Gärtner zuteil, der nach dem Medikus schickte; jener nähte dieWunde an mehreren Stellen und verband mich sodann. Ich kann Dir sagen,Wilhelm, Schmerzen litt ich an diesem sonst so wonnigenTag genug.
    Erst gegenAbend fiel es den Bedienten anläßlich der Fütterung auf, daß Nero nicht im Gehege war, daß er, da der Bereich des Zwingers von einem hohen Zaun umgeben, über diesen hinweggesetzt haben mußte, und fortan unauffindlich war. Ich drückte dem Hofmeister mein Bedauern über denVorfall aus, der höfliche Mann vergewißerte sich, ob alles zu meinerWiederherstellung unternommen worden sei.Trotz stechender Schmerzen befinde ich mich nicht übel.

Am 7. Mai.
    Du fragst, ob Du mir, solange ich der Schonung bedarf, meine Bücher schicken sollst? – Lieber, ich bitte Dich um Gottes willen, laß sie mir vom Halse! Ich will nicht mehr geleitet, ermuntert, angefeuert sein, braust dieses Herz doch genug aus sich selbst; ich
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