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Sturm

Sturm

Titel: Sturm
Autoren: Claudia Kern
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du dabei?«
    »Wenn der Schneesturm aufhört?« Rickard versuchte sein Lachen zu unterdrücken, aber es brach aus ihm hervor. Die Manner an den anderen Feuern sahen zu ihm herüber. Rothbar runzelte die Stirn.
    »Weißt du denn nicht, wie man es in Somerstorm nennt, wenn der Schneesturm aufhört?«, fragte er.
    Rothbar hob die Schultern.
    »Frühling.« Rickard liefen Lachtränen über die Wangen. Er schlug sich auf den Schenkel und schüttelte den Kopf.
    »Du kannst mich mal.« Rothbar stand auf und ließ ihn allein an seinem Feuer zurück.
    Langsam beruhigte sich Rickards Atem. Er dachte an den Sommertag, an dem Ana ihm diesen Witz erzählt hatte. Er hatte ihn nicht verstanden, und sie hatte ihn ihm erklären müssen. Er erinnerte sich daran, wie peinlich ihm das gewesen war.
    »Ich hätte dich suchen sollen, Ana«, sagte er. Es interessierte ihn nicht mehr, ob seine Männer ihn für verrückt hielten. »Ich hätte tun sollen, was ich für richtig hielt, nicht mein Vater. Ich habe dich im Stich gelassen.«
    Er begann lautlos zu weinen. In letzter Zeit weinte er oft, wenn niemand hinsah.
    Am Anfang, als sie über den Pass in das leere, verbrannte Land vorgestoßen waren, hatte er noch gehofft. Wie eine Motte dem Kerzenlicht war er den Spuren der Nachtschattenarmee gefolgt, vorbei an niedergebrannten Dörfern und leeren Vorratsspeichern. Reiter stürzten in Fallgruben, Einheiten wurden von Steinlawinen in Schluchten getroffen oder starben qualvoll am Wasser vergifteter Brunnen. Trotzdem war er den Nachtschatten weiter gefolgt, war nicht in der Lage gewesen, der Belohnung, nach der er scheinbar nur zu greifen brauchte, zu widerstehen. Seine Offiziere hatten die Taktik lange vor ihm begriffen, aber er hatte ihre Warnungen ignoriert, war weiter in das Land vorgestoßen, als bereits der erste Schnee in den Tälern liegen blieb.
    Mit dem Winter begann das Sterben. Die Nachtschatten ließen sie schon lange in Ruhe, nur gelegentlich sah man noch eine Spur im Schnee, so als beobachteten sie das Ende ihrer Feinde aus der Ferne. Rickard hasste sie längst nicht mehr. Sie hatten ihn nicht besiegt, er selbst trug die Verantwortung für seine Niederlage.
    Er legte sich auf die Seite, das Gesicht dem Feuer zugewandt. Draußen heulte der Sturm, unablässig seit mehr als zehn Tagen. Jemand hatte ihm gesagt, kurz vor dem Erfrieren würde man die Kälte nicht mehr spüren.
    Er glaubte, dass es bald so weit war. Er schloss die Augen und spürte die Sonne Westfalls.
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