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Sturm

Sturm

Titel: Sturm
Autoren: Claudia Kern
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vor Korvellans Zelt. In der Nähe des Generals fühlte er sich sicher. Die Nächte waren trocken und kalt. Es hatte schon lange nicht mehr geregnet. Einige Nachtschatten zogen immer wieder zu weit entfernten Flüssen, um die Wasserfässer aufzufüllen. Auch die anderen Vorräte wurden knapp. Sie hatten die Wälder rund um das Lager längst leer gejagt. Weiter wagten sie sich aus Angst vor Entdeckung nicht. Korvellans Plan baute darauf auf, dass sie nicht zu früh bemerkt wurden.
    Am sechsten Tag, als Korvellan morgens sein Zelt verließ, setzte sich Gerit in seinem Karren auf und fragte: »Was wirst du machen, wenn Balderick nicht kommt?«
    »Den Krieg verlieren«, sagte Korvellan. Er urinierte in einen Strauch, dann drehte er sich um. »Balderick hat zwölf, vielleicht sogar fünfzehntausend gut ausgebildete Soldaten, Bogenschützen, Speerträger, Schwertkämpfer, Katapulte und Belagerungstürme. Ich habe fünftausend Bauern, Schneider, Fischer und Schmiede. Im offenen Feld kann ich ihn nicht schlagen, und Somerstorm kann ich mit Klauen und Zähnen allein nicht verteidigen.«
    Er zeigte auf das Tal. »Ich brauche das! Und wenn ich den Kampf in diesem verdammten Tal nicht bekomme, wird Balderick uns töten, jeden einzelnen Nachtschatten in Somerstorm und jeden in den Provinzen, den er für einen hält.«
    Gerit dachte an das Mädchen, das gehäutet und schreiend an einem Baum in Braekor gehangen hatte. Ihm wurde übel.
    »Es darf nicht …«, begann er, aber laute Rufe unterbrachen ihn.
    Einige Nachtschatten liefen auf ihn und Korvellan zu. In ihrer Mitte ging ein Mädchen, dessen Kleidung zerrissen und staubbedeckt war.
    »Los, erzähl ihm davon«, sagte einer der Nachtschatten.
    Das Mädchen trat vor. Sie sah aus wie ein Mensch, hatte jedoch gelbe Augen. Ihr Blick glitt unsicher von Korvellan zu Gerit und wieder zurück, so als wisse sie nicht genau, wen sie ansprechen sollte.
    »Ich habe die große Armee gesehen«, sagte sie dann zu einem Punkt zwischen ihnen.
    Korvellan machte einen Schritt auf sie zu. »Wo?«
    »Drei Tagesmärsche im Westen, in der Nähe des Hafens von Zvaran.«
    Gerit sprang von seinem Karren, lief in das Zelt des Generals und kehrte mit den Karten zurück, breitete sie auf dem Boden aus.
    Korvellan beugte sich darüber. »Zvaran«, murmelte er, während seine Klaue suchend über das Pergament kratzte. »Hier.«
    Er schüttelte den Kopf. »Was für ein Narr. Er will seine Armee über das Meer nach Somerstorm bringen. Er hat wohl mehr Angst vor dem Pass als vor den Herbststürmen. Wir müssen ihn von dieser Angst abbringen.«
    Korvellan stand auf und nickte dem Mädchen zu. »Du hast uns sehr geholfen, ich danke dir.«
    Sie lächelte. Gerit sah ihr nach, als sie mit den anderen Nachtschatten zwischen den Zelten verschwand. Sie war hübsch, fast so hübsch wie Mamee in Somerstorm.
    »Wir müssen ihn davon abbringen«, sagte Korvellan leise. Er beugte sich bereits wieder über die Karten.
    Die Idee stand plötzlich in Gerits Kopf. »Ich könnte das.«
    »Was?«
    »Er kennt mich. Wenn ich ihm sage, dass Rickard siegreich war und der Pass frei ist, wird er mir glauben.«
    Korvellan sah ihn an. »Wieso würdest du das für uns tun?«
    Gerit hielt seinem Blick stand. »Ich weiß, was mich erwartet, wenn er siegt. Entweder muss ich mich ein Leben lang verstecken oder in Somerstorm die Marionette eines anderen werden. Wieso sollte ich ihm den Sieg wünschen?«
    Korvellan zögerte, dann sagte er: »Warte hier.«
    Gerit hatte nicht wirklich geglaubt, dass sein Vorschlag Beachtung finden würde. Die Idee war aus dem Moment entstanden, aus der Erinnerung an die Folter und Mamees Gesicht. Schon jetzt, wenige Lidschläge nachdem er sie ausgesprochen hatte, erschien sie ihm lächerlich.
    Er sah Korvellan zwischen den Zelten auftauchen. Schwarzklaue ging neben ihm. Er trug einen langen roten Schal in der Hand.
    »Du brichst sofort auf«, sagte Korvellan. Gerits Mund wurde trocken. »Du reitest nach Zvaran. Sag Balderick, dass Rickard Somerstorm kontrolliert und auf ihn wartet, um die Festung einzunehmen. Mach deutlich, dass ich noch lebe. Erkläre ihm, dass du den Pass überquert hast und kein Schnee liegt. Führe ihn in das Tal. Wenn es so weit ist, leg den Schal an. Das wird das Zeichen für die Nachtschatten sein, dich nicht anzugreifen. Hast du alles verstanden?«
    Gerit nickte. Er konnte nicht sprechen. Ein Nachtschatten drückte ihm die Zügel eines Pferdes in die Hand. Er spürte das Leder
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