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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt
Autoren: Brenda Novak
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1. KAPITEL
    L ag seine Leiche wohl da drin?
    Die Schultern fröstelnd hochgezogen, spürte Madeline Barker, wie sich ihre Fingernägel in die Handballen bohrten. Zusammen mit ihrem Stiefbruder, ihrer Stiefschwester und ihrer Stiefmutter stand sie im eisigen Januarregen und beobachtete, wie die Polizei versuchte, den Wagen ihres Vaters aus dem stillgelegten Baggersee zu bergen. Infolge des Schlafmangels brummte ihr schon der Kopf, und etwas schnürte ihr dermaßen die Brust zusammen, dass sie kaum Luft bekam. Dennoch harrte sie regungslos aus … und wartete geduldig. Durchaus möglich, dass sie nun – nach zwanzig Jahren – endlich erfuhr, was es mit dem Verschwinden ihres Vaters auf sich hatte.
    Chief Toby Pontiff, Leiter der Polizeiwache von Stillwater, kniete am Rande des klaffenden Abgrunds. “Jetzt sachte, Rex!”, brüllte er und übertönte dadurch das kreischende Jaulen der Abschleppwinde. “Vorsicht!”
    Am gegenüberliegenden Ufer des Baggersees lungerten Joe Vincelli und sein Bruder Roger herum. Immer wieder tuschelten die beiden sich etwas zu, die Mienen deutlich angespannt. Bei dem Radau konnte Madeline ihre beiden Cousins zwar nicht verstehen, aber sie war sich ziemlich sicher, dass sie die Unterhaltung sowieso nicht hören wollte. Es hätte sie doch nur aufgeregt. Seit Langem schon verbreiteten Joe und Roger das Gerücht, dass Madelines Vater nicht einfach verschwunden war, sondern ihre Stieffamilie ihn um die Ecke gebracht hatte.
    Madeleine warf Irene, Clay und Grace einen besorgten Blick zu. Leider musste man davon ausgehen, dass der Autofund in dieser Kiesgrube fünf Meilen vor der Stadt sämtliche Gerüchte neu anfachen würde. Ganz offensichtlich war ihr Vater damals nicht einfach ins Auto gestiegen und dem Abendrot entgegengefahren.
    Die schwarzen, seehundähnlichen Köpfe der Taucher, die Minuten zuvor in der Tiefe verschwunden waren, erschienen an der Oberfläche. Madeline stockte der Atem: Durch die trüben Fluten erkannte sie den Kühlergrill am Wagen ihres Vaters. Schlagartig den Tränen nahe, rückte sie instinktiv enger an Clay heran, der ebenso düster und still wirkte wie die Felsen ringsum.
    Noch aber wollte das Wrack nicht recht an die Oberfläche. Mit einem Knopfdruck brachte Rex die quietschende Winde des Abschleppwagens zum Stehen. Sofort hörte das Gejaule auf, und erst in der nachfolgenden Stille merkte Madeline, wie ihr die Ohren klingelten.
    Ihre Stiefmutter Irene, eine kleine Frau mit sanften Rundungen, stieß beim Anblick des Wracks einen wimmernden Laut aus, der Grace aus ihrer Erstarrung erwachen ließ. Hastig legte sie einen Arm um Irene. Clay hingegen rührte sich nicht. Madeline blickte ihm in die tiefgründigen blauen Augen. Sie hätte gern gewusst, was wohl in ihm vorging.
    Wie üblich war das schwer zu beurteilen. Sein Gesichtsausdruck war ein Spiegelbild des grauen, bedeckten Himmels. Vielleicht dachte er an gar nichts, sondern versuchte nur genau wie sie, diese schreckliche Situation irgendwie zu überstehen.
    Ist ja gleich vorbei. Egal, was dabei rauskommt – Gewissheit ist besser als Ungewissheit!
Sie hoffte jedoch …
    “Die Sache macht mich ganz nervös”, nörgelte Rex, der Fahrer des Abschleppwagens. Klein gewachsen und drahtig, war Rex eher ein unauffälliger Typ. Seine Tätowierung war dafür umso auffälliger: Mitten auf Rex’ Nacken räkelte sich eine laszive Frauenfigur, die jetzt allerdings halb verdeckt war. “Was ist denn, wenn sich die Karre an ‘nem Felsvorsprung verhakt? Dann blockiert sie womöglich.”
    “Passiert schon nicht”, beschwichtigte ein Polizist namens Radcliffe.
    Rex überhörte den ungebetenen Einwurf und hielt sich lieber an den Einsatzleiter. “Toby, das klappt im Leben nicht!”, schimpfte er weiter. “Ich meine, wir sollten ‘nen Kran ranholen. Sonst kriegt hier noch einer was ab, oder mein Truck geht in die Binsen.”
    Toby Pontiff, groß und blond mit akkurat gestutztem Schnauzbart, war erst vor einem halben Jahr zum Polizeichef ernannt worden und ein guter Bekannter von Madeline. Beide waren zusammen aufgewachsen; die ganze Schulzeit hindurch war Madeline eng mit seiner jetzigen Frau befreundet gewesen.
    Toby warf ihr einen mitfühlenden Blick zu, wandte sich dann aber ab. Obwohl er mit gesenkter Stimme weitersprach, bekam Madeline doch mit, um was es ging. “Das dauert dann ja noch mal etliche Tage!”, wehrte er ab. “Guck dir mal die vier Leute da drüben an! Siehst du nicht, wie kreidebleich Madeline ist?
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