Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
Das Rattenloch – Taubenland
    Drüben brannte schwaches Licht. Er lag ausgestreckt auf dem Bett, die Arme hatte er hinterm Kopf verschränkt, die Lockenmähne hing ihm übers Gesicht. Wenn ich die Augen zusammenkniff, konnte ich auf seiner Brust dunkle, krause Haare erkennen. Mein Blick wanderte weiter: Seine Unterhose war ein wenig verrutscht, und ich sah, dass er überall gleichmäßig braun war. Wahrscheinlich ging er in eines der neuen Sonnenstudios. Neben ihm lagen zwei kleine Bierflaschen. Der Fernseher flimmerte. Wie immer. Hinter dem Bett erkannte ich ein Motorradpärchen auf einem Strandweg; Palmen, Wolkentupfer, Abendrot. Das war nicht das Fernsehbild, sondern eine Hawaiitapete. Ick schlaf in Berlin unta Palmen, sagte der Hauser. Sein Alter konnte ich schwer schätzen. Vermutlich war es bei ihm andersherum als bei Klaus: Meinen niedlichen Vater mit dem blassen Jungengesicht und den strohblonden strubbeligen Haaren hielten alle für jünger, als er war. Ich schob den Vorhang noch mehr zur Seite und schaute hinüber zu unserem Küchenfenster, das zum Hof wies. Wiebke und Klaus saßen am abgedeckten Abendbrottisch, tranken Wein und lasen sich gegenseitig aus der Zeitung vor. Wie immer. Sie sahen mich nicht.
    In gleichmäßigem Abstand flackerte es bunt über den hawaiianischen Abendhimmel und durch die Berliner Finsternis: Auch nach Silvester hatten Pechs ihre Weihnachtsdekoration nicht abgehängt. Und wie ich Pechs kannte, blinkte und glitzerte es mindestens bis Ostern bei uns im Hof.
    Jetzt trat Herr Kanz aus einer der Souterrainwohnungen, er schleppte, wie es aussah, eine neue Skulptur in den Hinterhof. Er fabrizierte grundsätzlich nur Brüste. Er sagte, das sei sein »Thema«. Klaus sagte »Masche« dazu. Im Hof standen zurzeit dreizehn große Brüste. Sie waren alle ungefähr einen Meter hoch. Manche waren flacher, andere runder, manche hatten Brustwarzen so groß wie unsere Abendbrotteller, manche nur knopfgroße Punkte. Auf eine Brust hatte Herr Kanz ein Herz gemalt: »Sven, ich liebe dich«. Er selbst hieß Sven. Als ich einmal Klaus, der sich den ganzen Tag mit Kunst beschäftigte, fragte, was er von Herrn Kanz’ Brüsten halte, schüttelte er nur den Kopf und rollte mit den Augen. Wenn Klaus Herrn Kanz auf dem Hof begegnete, winkte er ihm jedoch lässig zu, rief »Frohes Schaffen!« oder »Wohlan!« Einmal auch ein launiges »Wie viele sollen’s denn noch werden?«
    Gegenüber von Herrn Kanz hatte ein anderer Künstler sein Freiluftatelier und seine Dauerausstellung im Hof: Herr Olk. Herr Olk, den Falk und ich auch den Grottenolk nannten, tat immer sehr bescheiden und nannte sich »Sammler« oder »Erfinder«, nicht Künstler. Er betonte dies stets gegenüber Herrn Kanz, der Kunst studiert hatte. »Ick bin keen Studierta«, sagte Herr Olk gern und nicht ohne Eitelkeit von sich. Denn im Grunde hielt er sich bei aller zur Schau gestellten Bescheidenheit natürlich für ein Genie, unverbraucht, keinerlei professionellen Deformation zum Opfer gefallen, kurz: für einen edlen Wilden. Sobald sich ein Journalist auf unseren Hinterhof verirrte, was durchaus ein paar Mal vorgekommen war, nannte er seine im Hof herumliegenden Haufen Urbane Collagen . Zurzeit bestanden diese aus verrosteten Schrottteilen, an denen bunte Plastiktüten und -eimer baumelten (als Sinnbild des Konsums, wie er Falk und mir erklärt hatte), die sich nach stürmischem Wetter auch anderswo im Hof wiederfanden, zum Beispiel auf Herrn Kanz’ Brüsten. Nach jedem starkem Wind waren sie mit dem ein oder anderen Schrottteil, sei es einem verbogenen Kleiderbügel, einer zerdellten Clownsmaske oder einer vom Grottenolk schwarz angesprühten Plastikgirlande, neu »verziert«. Was jedes Mal dazu führte, dass Herr Kanz diese Objekte, ohne Herrn Olk zu fragen, eigenhändig in dessen Installationen »re-integrierte«, sehr zum Verdruss von Herrn Olk.
    Herr Kanz und Herr Olk versuchten im Großen und Ganzen redlich miteinander auszukommen, aber jeder von ihnen nickte sofort erleichtert, sobald man auch nur andeutungsweise eine herablassende Bemerkung über die Qualität der Kunst des anderen machte.
    Natürlich hatte ich Klaus auch gefragt, was er von Herrn Olks raumgreifenden Installationen hielt. Mein Vater hatte lange mit unglücklichem Gesichtsausdruck geschwiegen und dann gesagt: »Naja, bei Kanz existiert zumindest so etwas wie, wie könnte man das euphemistisc h … vielleicht, hach, also, Gestaltungswille n … Ach, Julika, lassen wir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher