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Der Dunkle Code

Der Dunkle Code

Titel: Der Dunkle Code
Autoren: Ilkka Remes
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    Ein Blitzlicht zuckte durch den Raum. Aaro fuhr zusammen. Sofort drehte er sich zu dem Fotografen um, denn er wusste, dass fotografieren hier absolut verboten war – die Schilder wiesen streng darauf hin.
    Es hätte ihn nicht überrascht, wenn der Fotograf genau der komische Typ gewesen wäre, den er verfolgt hatte. Aber die Aufseher boxten sich in der Menschenmenge schimpfend zu einem amerikanischen Touristen durch, der sich mit der Kamera in der Hand dumm stellte, oder es wirklich war.
    Aaro grinste. Wie konnte man nur glauben, ein anständiges Foto von Michelangelos Deckengemälde machen zu können? Es lag weit oberhalb der Reichweite jedes Blitzes. Er schaute noch eine Weile zu dem Fresko hinauf, wo Gott mit ausgestrecktem Finger dem nackten Adam Leben einflößte. Mit der berühmten Berührung. Um Aaro herum pochten die Schritte der Besucher der Vatikanischen Museen. Hier, in der Sixtinischen Kapelle, war der neue Papst gewählt worden, aber jetzt ersetzten Touristenscharen die Versammlung der Kardinäle.
    Aaro runzelte die Stirn, als der Amerikaner, der beim Fotografieren erwischt worden war, lautstark sein Tun rechtfertigte. Die Aufseher wechselten kurze Blicke, packten den Wichtigtuer an beiden Armen und führten ihn eiskalt aus dem Saal.
    Plötzlich kehrte Aaros Aufmerksamkeit zu dem Mann in den schäbigen Kleidern zurück, dem er in den Museumsbereich gefolgt war. Die anderen aus Aaros Klasse waren draußen geblieben, um an den Ständen hinter dem Säulengang des Petersplatzes und in den Läden auf der Piazza Pio XII letzte Souvenirs zu kaufen.
    Der Blick des Mannes mit der Halbglatze löste sich von dem abgeführten Touristen und traf zufällig Aaro, dem sogleich die dunklen Augenringe des Mannes auffielen. Aaro wandte sich sofort ab und sein Herz fing heftig an zu schlagen. Hatte der Typ bemerkt, dass er verfolgt wurde?
    Aaro sah auf die Uhr. Die Freizeit, die ihnen von den Lehrerinnen zugestanden worden war, ging dem Ende zu, er hätte zu den anderen zurückkehren müssen. Sollte der Typ eben weiter durch die Gegend schleichen, vielleicht war er ja bloß so etwas wie ein armer Irrer. Aber was hatte so einer im Museum verloren? Der Mann trug einen fadenscheinigen Trenchcoat, der ihm mehrere Nummern zu groß war. Man konnte sich den Kerl beim besten Willen nicht als gewöhnlichen Touristen vorstellen. Sein Profil war wie geschaffen für einen Sonderling: Die stark hervorspringende Nase hatte zum Ausgleich ein außergewöhnlich schwach ausgeprägtes Kinn erhalten. Der Hals war dünn und seltsam nach hinten gebogen. Auf der hohen Stirn glitzerten Schweißperlen. Mit einer Hand fuhr sich der Mann über die gewellten Haare, die seine Glatze einrahmten. Aaros Verdacht, dass mit dem Mann etwas nicht stimmte, wurde bestätigt, als der Typ in ein Ärmelmikrofon sprach. Jedenfalls sah es so aus. Es konnte allerdings auch sein, dass er lediglich seinem Mantelstoff gut zuredete.
    Aaro ging zu dem Ausgang, durch den die Aufseher gerade den Amerikaner geführt hatten. Er warf noch einen letzten Blick über die Schulter, aber der Mann, den er beobachtet hatte, war bereits in der Menschenmenge verschwunden.
    An der Stelle, wo er gerade noch gestanden hatte, waren allerdings seltsame Flecken auf dem Boden aufgetaucht. Kleine Tropfen, die verrieten, in welche Richtung der Mann gegangen war: zu dem Altargemälde mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts.
    Auf einmal ging Aaros Fantasie mit ihm durch und er lief dem Mann hinterher. Wegen der Menschenmenge konnte er ihn nicht sehen, aber dann schrie plötzlich eine Frau auf. Sofort drehten sich alle Köpfe in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war.
    Aaro beschleunigte die Schritte. Er schob eine kleine Japanerin zur Seite, um besser sehen zu können, und im selben Moment erstarrte er. Der Typ sprang gerade auf den Altar und zog einen flachen Kanister unter seinem Trenchcoat hervor. Ohne zu zögern, spritzte er eine Flüssigkeit auf die untersten Figuren von Michelangelos Meisterwerk.
    »Das ist Säure!«, brüllte Aaro und stürzte auf den Saboteur zu. Das unersetzliche Kunstwerk musste gerettet werden. Er hatte im Fernsehen gesehen, wie die fanatischen Taliban mit der zerstörerischen Kraft von Artilleriefeuer uralte Buddha-Statuen zum Einsturz gebracht hatten. So eine barbarische Tat durfte sich in Europa nicht wiederholen.
    Wo die Flüssigkeit das Wandgemälde getroffen hatte, rannen nun farbige Streifen bis zum Boden der Kapelle, und der Mann setzte seine
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