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Engelskraut

Engelskraut

Titel: Engelskraut
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Prolog
    Mein Liebster. Die kurze Zeit unseres Zusammenseins hat meine Lebensfreude wiedererweckt. Die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen wild durcheinander. Obwohl wir uns noch nicht lange kennen, hat sich dein Name tief in mein Herz eingebrannt und ich weiß schon jetzt, dass ich dich niemals wieder loslassen werde. Das ist ein Versprechen: Ich werde dich lieben bis ans Ende meiner Tage.
    Es ist wie im Märchen. Und ich kann es immer noch nicht glauben, dass du mich genauso liebst wie ich dich. Wie gern würde ich diese drei Worte laut in die Welt hinausschreien: Ich liebe dich!
    Ich weiß, ich muss mich zurückhalten. So lange, bis du deine Angelegenheiten geklärt hast. Kannst du dich damit nicht ein wenig beeilen? Das Warten fällt mir so schwer. Am liebsten wäre ich Tag und Nacht bei dir. Und nicht immer nur in unseren wenigen gestohlenen Stunden, die mir so kostbar geworden sind.
    Das Vergangene ist vorbei. Die vielen Enttäuschungen, die ich erlebt habe, zählen nicht mehr, seit du in mein Leben getreten bist. Bis auf den Grund meiner Seele hast du mir geschaut. ›Du bist so zart und so zerbrechlich‹, hast du mir ins Ohr geflüstert.
    Mein Liebster, seit ich dich kenne, fühle ich mich endlich ganz. Vorher, ja, da war ich schwach und zerbrechlich. Aber das ist vorbei. Jetzt bin ich stark. Was ich bin, wurde ich durch dich. All meine Ängste sind von mir abgefallen, denn ich habe jetzt dich. Du bist mir Nahrung und Luft. Du bist alles für mich. Ich vertraue dir völlig. Wir werden es gut miteinander haben, wir zwei. Ich habe noch nie einen Menschen so sehr geliebt wie dich. Es ist, als ob ich ein Leben lang auf dich gewartet hätte – und nun haben wir uns endlich gefunden. Du hast mich gerettet. Und ich durfte erkennen, dass es wahr ist: Liebe ist stärker als der Tod.
     
    Sie löste den Blick vom Bildschirm und sah durch die geschlossenen Fensterscheiben hinaus in eine andere Welt. In der Wohnung gegenüber brannte Licht. Die junge Nachbarsfrau hielt ihr Baby im Arm, den Kopf zu ihm hingeneigt, um es zu liebkosen.
    In diesem Moment zog sich alles in ihr zusammen. Ihre Brust verengte sich. Sie versuchte, normal weiterzuatmen, doch das Gefühl, dass die Luft nicht in ihrer Lunge ankam, nahm überhand. Sie schwankte. Schwindel erfasste sie. Wirre Bildfetzen mit unscharfen Konturen flackerten durch ihr Gehirn. Die Erinnerungsflut, die sie von Zeit zu Zeit wie aus heiterem Himmel überfiel, ließ sich nicht einfach wegdrücken, so sehr sie das auch versuchte. Wie in einem flimmrigen Film, dessen Ränder zerrissen und ausgefranst waren, sah sie sich und die beiden anderen. Hände waren auf ihrer Haut. Drängende Hände, die sie fortschieben wollte. Sie spürte, wie sich ihre Kiefer anspannten. In ihrem Mund breitete sich ein metallischer Geschmack aus. Sie rief ein paar Mal den Namen der Freundin, doch die hörte sie nicht. Schließlich sprach sie stockend ein Gebet. »Lieber Gott, hilf mir doch, bitte …«
    Die Anspannung wuchs ins Unerträgliche. Obwohl das alles schon sehr lange her war, schien es erst gestern geschehen zu sein, so klar und deutlich stand ihr das Erlebte vor Augen. Ihre Hände verkrampften sich. Mit aller Kraft versuchte sie, gegen das in ihr tobende Gefühlschaos anzukämpfen. Minutenlang saß sie da, ohne sich zu bewegen. Als sie es nicht mehr aushielt, sprang sie auf, rannte wie getrieben in die Küche, zog dort mit einem heftigen Ruck die Besteckschublade auf und nahm ein Messer heraus. Es war eines mit einer besonders scharfen Klinge.

1
    Das Scheppern hallte in der Nacht. Ein ungewöhnliches Geräusch, das Hans Kleinkauf aufschrecken ließ. Ein paar Augenblicke lang wehrte er sich gegen das Wachwerden. Er lag unter einer dicken Daunendecke wie in einem schützenden Kokon, in dem es warm und gemütlich war. Leise schmatzend bewegte er die trockenen Lippen. Seine Sinne waren noch träge. Doch langsam drängte sich die Wirklichkeit in seinen sich verflüchtigenden Traum. Gerade noch war er in Israel gewesen. Die Sonne hatte vom Himmel gebrannt. Ellie und er wandelten zwischen gewaltigen Marmorsäulen, die sehr konkret waren und ihm gar nicht wie Traumbilder vorgekommen waren.
    Irgendwann war etwas umgefallen. Nicht im Traum. Draußen im Garten.
    Er war noch nie in Israel gewesen. Folglich konnte er nicht mit Sicherheit sagen, ob es dort überhaupt Gebäude mit derartig hohen Marmorsäulen gab. Wieso hatte er das alles so deutlich vor sich gesehen? Und wieso hatte er genau
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