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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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mit
dem Bleistift leicht gegen den abgeschlagenen Zahn zu
klopfen.
Ich ließ die Stille zwischen uns gut fünf Minuten lang wirken,
dann schlug ich vor: »Komm mit mir nach Hause.«
Sie schüttelte den Kopf, lächelte noch immer und schaukelte
sacht im Stuhl.
»Ach, komm. Wir gucken ein bißchen Fernsehen, reden
über alte Zeiten.«
»Irgendwo in dieser Geschichte kommt ein Bett vor, ich weiß
es genau.«
»Aber nur als Schlafgelegenheit. Wir legen uns hin und…
reden.«
Sie lachte. »Aha. Und was ist mit den ganzen wunderbaren
jungen Dingern, die gerne mal auf deiner Türschwelle
campieren und dich am Telefon belagern?«
»Wer denn?« fragte ich unschuldig.
»Da wären«, erwiderte sie, »Donna, Beth, Kelly, die Maus
mit dem Arsch, Lauren…«
»Die Maus mit dem Arsch? Wie bitte?«
»Du weißt schon wer. Diese Italienerin. Die immer so
macht…« - ihre Stimme stieg um zwei Oktaven - »›oooooh,
Patrick, können wir jetzt nicht ein süßes Schaumbad nehmen?
Hiii!‹ Die meine ich.«
»Gina.«
Sie nickte. »Gina. Genau die.«
»Die würde ich alle vergessen für eine Nacht mit…« »Ich weiß, Patrick. Ich hoffe, du glaubst nicht, daß du darauf
stolz sein kannst.«
»Ach komm, Mama…«
Sie lächelte. »Patrick, eigentlich glaubst du nur, daß du in
mich verliebt bist, weil du mich noch nie nackt gesehen
hast…«
»Seit…«
»Seit dreizehn Jahren«, ergänzte sie eilig, »und wir waren
uns beide einig, daß das vergessen ist. Außerdem sind
dreizehn Jahre eine Ewigkeit, was eine Frau angeht.« »Du sagst das, als ob es etwas Schlechtes wäre.« Sie rollte mit den Augen. »Also«, fing sie an, »was haben wir
morgen auf dem Plan?«
Ich zuckte mit den Achseln und nahm noch einen Schluck
aus der Bierdose. Jetzt war definitiv Sommer, das Bier
schmeckte wie Tee. Van hatte mit »Crazy Love« aufgehört
und ging jetzt »Into the Mystic«. Ich faßte zusammen: »Ich
schätze, wir warten auf Billys Anruf und melden uns mittags
bei ihm, falls er sich nicht gemeldet hat.«
»Hört sich fast wie ein Plan an.« Sie leerte ihre Dose und
zog ein Gesicht. »Hast du noch welche?« Ich griff in den
Papierkorb, der auch als Kühlschrank fungierte, und warf ihr
eine Dose zu. Sie öffnete sie und nahm einen Schluck. »Was
machen wir, wenn wir Mrs. Angeline gefunden haben?« »Keine Ahnung. Lassen wir uns was einfallen.«
»Du bist ein richtiger Profi.«
Ich nickte. »Darum lassen sie mich ja auch eine Knarre
tragen.«
Sie sah ihn eher als ich. Sein Schatten fiel auf den Boden
und kroch die rechte Seite ihres Gesichts hinauf. Phil. Das
Arschloch.
Seit ich ihn vor drei Jahren krankenhausreif geschlagen
hatte, hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Er sah jetzt besser
aus als damals, da lag er auf dem Boden, hielt sich die Rippen
und hustete Blut auf das Sägemehl, aber auch jetzt sah er
noch wie ein Arschloch aus. Er hatte eine Riesennarbe neben
dem linken Auge, mit freundlichen Grüßen von einem
anständigen Queue. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube,
ich grinste, als ich es bemerkte.
Er sah mich nicht an. Er sah sie an. »Ich hupe schon seit
zehn Minuten, Schatz. Hast du mich nicht gehört?«
»Es war ziemlich laut draußen und…« Sie zeigte auf den
Ghettoblaster, doch folgte Phil nicht ihrem Finger, weil er dann
mich hätte ansehen müssen.
Er fragte: »Bist du fertig?«
Sie nickte und erhob sich. Das Bier kippte sie auf ex weg.
Das schien Phil nicht gerade froh zu stimmen. Wahrscheinlich
wurde alles noch schlimmer, als sie die Dose in meine
Richtung segeln ließ und ich sie in den Papierkorb bugsierte. »Zwei Punkte«, bemerkte sie und ging um den Schreibtisch
herum. »Bis morgen, Scooter.«
»Bis morgen«, erwiderte ich, während sie Phils Hand nahm
und auf die Tür zuging.
Kurz bevor sie die Tür erreicht hatten, drehte Phil sich um,
ihre Hand in seiner, und sah mich an. Er grinste.
Ich blies ihm einen Kuß zu.
Ich hörte zu, wie sie die enge Wendeltreppe hinunterstiegen.
Van sang nicht mehr, und die Stille, die nun eintrat, war
schwer und faulig. Ich saß auf Angies Stuhl und blickte den
beiden unten auf der Straße nach. Phil stieg ins Auto, Angie
stand an der Beifahrertür und faßte an den Griff. Sie hielt den
Kopf gesenkt, und ich hatte den Eindruck, sie bemühte sich,
nicht zum Fenster hochzublicken. Phil öffnete ihre Tür von
innen, sie stieg ein, und dann fädelte er sich auch schon in
den Verkehr ein.
Ich blickte meinen Ghettoblaster und die darum verteilten
Kassetten an. Ich überlegte mir, ob ich Van raustun und
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