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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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Müll, Holz und Linoleum, das über Jahrzehnte hinweg geschmolzenen Schnee und Schmutz aus nassen Schuhen, verschüttetes Bier und Wasser und die Asche von Tausenden ausgedrückter Zigaretten aufgesaugt hatte. Ich achtete darauf, das Geländer nicht anzufassen; es sah aus, als würde es jeden Moment abbrechen.
Ich ging in den obersten Flur und stand vor Jennas Wohnungstür oder was noch davon übrig war. Das Holz am Griff war zerstört, der Knauf selbst lag in einem Haufen von Splittern auf dem Boden. Ein rascher Blick in die Diele vor mir zeigte mir einen dünnen Streifen grünen Linoleums, auf dem zerbrochene Stuhlbeine, eine zertrümmerte Schublade, zerrissene Kleidungsstücke, Kissenfüllungen und Teile eines kleinen Transistorradios herumlagen.
Ich zog meine Pistole, zwängte mich in die Wohnung und kontrollierte die Zimmer, indem ich mit erhobener Pistole über die Türschwellen sprang. In dem Haus herrschte diese gewisse Stille, die nur dann aufkommt, wenn sich darin nichts Lebendiges mehr befindet, aber ich bin oft genug von dieser Stille getäuscht worden, mein geschraubter Kieferknochen beweist es.
Ich brauchte zehn Minuten für die mühsame Durchsuchung mit durchgestrecktem Nacken, bis ich feststellen konnte, daß hier tatsächlich niemand war. Da war ich bereits schweißbedeckt, hatte Rückenschmerzen, und die Muskeln in meinen Händen und Armen waren steif wie Bretter.
Als ich dann etwas lockerer durch die Wohnung ging und die Zimmer nochmals untersuchte, alles etwas genauer ansah, ließ ich die Pistole locker hängen. Kein Neonschild mit der Aufschrift »SPUR« sprang mir aus dem Schlafzimmer entgegen und tanzte vor mir herum. Auch nicht im Badezimmer. Küche und Wohnzimmer waren gleichermaßen unkooperativ. Ich wußte nur, daß jemand etwas gesucht hatte und dieser jemand sich dabei nicht in erster Linie um Vorsicht bemüht hatte. Nichts Zerbrechliches war heil geblieben, nichts Aufschlitzbares unversehrt.
Ich trat in den Hausflur und hörte ein Geräusch zu meiner Rechten. Ich wirbelte herum und blickte über die fette Trommel Jerome an. Er krümmte sich, die Hände vor dem Gesicht. »Ho! Ho! Ho, ho, ho, ho! Schieß bloß nicht!«
»Junge!« atmete ich auf und verspürte eine Welle der Erleichterung.
»Verdammt noch mal!« Jerome richtete sich auf, strich sich aus irgendeinem Grund über das Muskelshirt und glättete die Umschläge seiner Shorts. »Wieso hast du diese Kanone dabei? Ich hab’ hier wer weiß wie lange schon keine Elefanten mehr gesehen.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Was machst du hier oben?«
»Hey, ich wohne hier in der Gegend, Weißbrot! Sieht mir eher so aus, als ob du dir ‘ne Erklärung einfallen lassen mußt. Und steck das verfluchte Ding weg!«
Ich schob die Pistole in den Halfter zurück. »Was ist hier passiert, Jerome?«
»Ist ja gut«, antwortete Jerome und ging herein, schaute sich die Unordnung an, als hätte er sie schon hundert Mal gesehen. »Die gute Jenna ist seit über einer Woche nicht mehr hier gewesen. Das hier ist am Wochenende passiert.« Er nahm meine nächste Frage vorweg: »Und nein, Mann, keiner hat irgendwas gesehen.«
»Wundert mich nicht«, erwiderte ich.
»Ach, die Leute bei dir in der Gegend, die melden sich wahrscheinlich die ganze Zeit freiwillig bei den Bullen und erzählen was.«
Ich grinste. »Nicht mal, wenn sie gut drauf sind.«
»Aha.« Er blickte wieder auf das Chaos. »Das hier muß was mit Roland zu tun haben. Mit Sicherheit.«
»Wer ist Roland?«
Darüber mußte er lachen. Er sah mich an: »Na, klar.«
»Nein, ehrlich. Wer ist Roland?«
Er drehte sich um und verließ die Wohnung. »Geh nach Hause, Weißbrot.«
Ich folgte ihm die Treppe hinunter. »Wer ist Roland, Jerome?«
Er schüttelte die ganze Zeit den Kopf, bis wir unten im Erdgeschoß ankamen. Als er in der Eingangstür stand, wo sich seine Freunde auf den Stufen versammelt hatten, zeigte er mit dem Daumen hinter sich. »Er will wissen, wer Roland ist.«
Seine Freunde lachten. Ich mußte der lustigste Weiße sein, den sie seit langer Zeit gesehen hatten.
Die meisten standen auf, als ich aus dem Haus kam. Ein Mädchen fragte: »Du willst wissen, wer Roland ist?«
Ich ging ein paar Treppenstufen hinunter. »Ich will wissen, wer Roland ist.«
Einer der größeren Jungen stieß mir mit dem Zeigefinger gegen die Schulter. »Roland ist dein schlimmster Alptraum.«
Das Mädchen ergänzte: »Schlimmer als deine Frau.«
Alle lachten, und ich stieg die letzten Stufen hinunter und zwängte mich
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