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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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Straßengöre bis ins Mark. Ich wartete darauf, daß eine Sommerschülerin schreien oder eine Nonne die Treppe hochhasten würde, den Zorn Gottes in den Augen, eine brennende Zigarettenkippe in der Hand. Nichts passierte. Angie wandte sich vom offenen Fenster ab, und eine kühle Sommerbrise erfüllte den Raum mit dem Geruch von Auspuffgasen, Freiheit und den Fliederblüten vom Schulhof.
»Also«, sagte sie und lehnte sich gegen die Stuhllehne, »haben wir einen neuen Job?« »Wir haben einen neuen Job.« »Juhu«, gab sie zurück. »Netter Anzug übrigens.« »Da möchtest du sofort auf mich springen, nicht?« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Uh, nein.« »Weißt nicht, wo ich gewesen bin, stimmt’s?« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Ich weiß genau, wo du gewesen bist, Scooter, das ist ja eigentlich das Problem.« »Zicke«, sagte ich.
»Schwein.« Sie streckte mir die Zunge raus. »Was ist das für ein Fall?«
Ich zog die Informationen über Jenna Angeline aus meiner Brusttasche und warf sie auf den Schreibtisch. »Finden und anrufen, ganz einfach.«
Sie prüfte die Blätter. »Warum machen die sich Sorgen, wenn eine Putzfrau mittleren Alters verschwindet?«
»Offenbar sind mit ihr ein paar Unterlagen verschwunden. Unterlagen des Parlaments.«
»Die wem gehören?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Du kennst doch diese Politiker. Bis es auf die Tagesordnung kommt, ist alles so geheim wie Los Alamos.«
»Woher wissen sie, daß sie die Unterlagen gestohlen hat?«
»Sieh dir das Bild an.«
»Ach so«, antwortete sie nickend, »sie ist schwarz.«
»Für die meisten Menschen Beweis genug.«
»Sogar für die Liberalen im Senat?«
»Der Vorsitzende der Liberalen im Senat ist auch nur ein Rassist aus Southie, wenn er nicht gerade im Parlament sitzt.«
Ich erzählte ihr von unserem Treffen, von Mulkern und seinem Schoßhund Paulson und von den roboterartigen Angestellten im Ritz.
»Und der Abgeordnete James Vurnan - wie benahm er sich in Gesellschaft von solch wichtigen Männern?«
»Kennst du diese Zeichnung mit einem großen und einem kleinen Hund, wo der kleine Hund immer hechelt, herumspringt und den großen Hund fragt: ›Wo gehen wir hin, Butch? Wo gehen wir hin, Butch?‹«
»Ja.«
»So«, erwiderte ich.
Sie kaute auf einem Bleistift und klopfte sich dann damit gegen die Schneidezähne. »Also, das hätte mir jetzt ein heimlicher Beobachter auch erzählen können. Wie war es wirklich?«
»Das war’s.«
»Vertraust du ihnen?«
»Verdammt, nein!«
»Also steckt mehr dahinter, Detective?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Das sind gewählte Leute. Die sagen erst die Wahrheit, wenn es die Nutten umsonst machen.«
Sie lächelte. »Deine Vergleiche sind wie immer unnachahmlich. Du hast wirklich eine tolle Erziehung genossen, echt.« Sie lachte noch breiter, während sie den Blick nicht von mir ließ und mit dem Stift gegen den linken Schneidezahn klopfte, dem eine kleine Ecke fehlte. »Und, wie geht die Geschichte weiter?«
Ich lockerte meine Krawatte so weit, daß ich sie über den Kopf ziehen konnte. »Jetzt hast du mich.«
»Toller Detektiv«, sagte sie.

3_____
    Jenna Angeline war wie ich in Dorchester geboren und aufgewachsen. Wenn man sich die Stadt so ansah, konnte man meinen, das sei ein hübscher gemeinsamer Nenner zwischen Jenna und mir, eine wenn auch kleine, von der räumlichen Nähe aufgezwungene Verbindung: zwei Menschen, die mit ihrem Fallschirm an der gleichen Markierung abspringen. Aber das ist ein Irrtum. Jenna Angelines Dorchester und mein Dorchester haben ungefähr soviel gemeinsam wie Atlanta im Bundesstaat Georgia und Georgien am Kaukasus.
    Das Dorchester, in dem ich aufwuchs, war eine traditionelle Arbeitergegend, die Häuserblocks wurden meistens von den katholischen Kirchen beherrscht, um die herum sie gebaut worden waren. Die Männer waren Vorarbeiter, Gruppenführer, Bewährungshelfer, Fernsprechtechniker oder Feuerwehrmänner, wie mein Vater. Die Frauen waren Hausfrauen, die manchmal selber Teilzeitjobs hatten, einige hatten sogar einen Abschluß von einem staatlichen College. Wir alle waren irisch, polnisch oder gingen als eins von beiden durch. Wir waren alle weiß. Und als ab 1974 in den Schulen landesweit die Rassentrennung aufgehoben wurde, machten die meisten Männer Überstunden, und die meisten Frauen arbeiteten Vollzeit, damit die Kinder auf katholische Privatschulen gehen konnten.
    Dieses Dorchester hat sich natürlich verändert. Scheidungen
- zur Zeit meiner Eltern praktisch
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