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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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der so fest war, daß man Lähmungserscheinungen bekam. Er war mindestens seit Ende des Bürgerkriegs Mehrheitsführer im Senat des Bundesstaates Massachusetts und hatte nicht vor, sich zur Ruhe zu setzen. Er begrüßte mich mit den Worten: »Pat, Junge, schön dich zu sehen.« Außerdem hatte er einen gekünstelten irischen Akzent, den er sich irgendwie in seiner Jugend in South Boston angeeignet hatte.
    Brian Paulson war spindeldürr, hatte feines, zinnfarbenes Haar und einen feuchten, fleischigen Händedruck. Er wartete mit dem Hinsetzen, bis Mulkern Platz genommen hatte, und ich ärgerte mich, daß er nicht um Erlaubnis gefragt hatte, mir die ganze Handfläche vollzuschwitzen. Seine Begrüßung bestand aus einem Nicken und einem Blinzeln, wie bei jemandem, der immer nur kurz aus dem Schatten hervortritt. Angeblich hatte er aber Grips, der ihm in all den Jahren als Mulkerns Schoßhündchen antrainiert worden war.
    Mulkern hob leicht die Augenbrauen und sah Paulson an. Paulson hob ebenfalls die Brauen und sah Jim an. Jim tat das gleiche in meine Richtung. Ich wartete einen Moment, hob die Augenbrauen und blickte alle an. »Gehöre ich jetzt dazu?«
    Paulson sah verwirrt aus. Jim lächelte. Leicht. Mulkern fragte: »Wie sollen wir anfangen?«
Ich blickte über die Schulter zur Bar: »Mit einem Drink?«
Mulkern ließ ein herzhaftes Lachen vernehmen, Jim und Paulson fielen ein. Jetzt wußte ich, woher Jim das hatte. Wenigstens klatschten sie sich nicht einträchtig auf die Schenkel.
»Sicher«, sagte Mulkern. »Sicher.«
Er hob die Hand, worauf neben mir eine unglaublich süße junge Frau erschien, deren goldenes Namensschild sie als Rachel auswies: »Senator! Was darf ich Ihnen bringen?«
»Sie dürfen diesem jungen Mann ein Getränk bringen.« Halb bellte er die Worte, halb lachte er sie heraus.
Rachels Lächeln wurde noch breiter. Sie drehte sich ein wenig und sah auf mich herab. »Aber sicher. Was darf es sein, Sir?«
»Ein Bier. Gibt’s das hier?«
Sie lachte. Die Politiker lachten. Ich zwickte mich, um ernst zu bleiben. Mann, war das lustig hier!
»Ja, Sir«, kündigte sie an. »Wir haben Heineken, Beck’s, Molson, Sam Adams, St. Pauli Girl, Corona, Löwenbräu, Dos Equis…«
Ich schnitt ihr das Wort ab, bevor es Abend wurde. »Dann bitte ein Molson.«
»Patrick«, begann Jim, wobei er die Hände faltete und sich zu mir herüberlehnte. Jetzt wurde es ernst. »Es gibt da gewisse…«
»Imponderabilia«, ergänzte Mulkern. »Wir haben gewisse Imponderabilia am Hals. Die wir gerne diskret geklärt und erledigt haben würden.«
Ein paar Sekunden lang sagte niemand etwas. Ich glaube, wir waren alle zu beeindruckt, daß wir jemanden kannten, der das Wort »Imponderabilia« in einer beiläufigen Unterhaltung benutzte.
Ich schüttelte meine Ehrfurcht als erster ab. »Was verstehen Sie genau unter diesen Imponderabilia?«
Mulkern lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah mich an. Rachel erschien und stellte ein Glas vor mich, in das sie zwei Drittel des Bieres goß. Ich merkte, daß Mulkerns schwarze Augen fest auf mich gerichtet waren. Rachel wünschte: »Zum Wohl!« und verschwand.
Mulkerns Blick schwankte keine Sekunde. Wahrscheinlich mußte etwas explodieren, bevor er einmal blinzeln würde. Er fing an: »Ich kannte deinen Vater gut, Junge. Einen besseren Mann… tja, habe ich wohl nie gekannt. Ein echter Held.«
»Er sprach immer sehr freundlich von Ihnen, Senator.«
Mulkern nickte, als sei das die natürlichste Sache der Welt. »Schade, daß er so früh gehen mußte. Er wirkte genauso fit wie Johnny Weißmüller, aber…«, er klopfte sich mit den Fingern auf die Brust, »… man weiß ja nie bei der alten Pumpe.«
Mein Vater hat einen sechsmonatigen Kampf gegen den Lungenkrebs verloren, aber wenn Mulkern lieber glaubte, es sei ein Herzinfarkt gewesen, wer wollte sich da beschweren ?
»Und hier ist sein Junge«, sagte Mulkern, »fast erwachsen.«
»Fast«, antwortete ich. »Letzten Monat habe ich mich sogar rasiert.«
Jim sah aus, als hätte er einen Frosch verschluckt. Paulson blinzelte. Mulkern grinste. »Schon gut, Junge. Schon gut. Du hast recht.« Er seufzte. »Ich sag’ dir, Pat, wenn du in mein Alter kommst, ist alles jenseits von gestern jung.«
Ich nickte weise, obwohl ich nichts verstand.
Mulkern rührte seinen Drink um, nahm den Löffel heraus und legte ihn vorsichtig auf die Serviette. »Wir haben gehört, wenn es darum geht, Leute zu finden, gibt es keinen Besseren als dich.« Er zeigte mit
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