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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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weiter den Hügel hoch, und irgendein Urinstinkt ließ mich nach meiner Pistole fühlen, die schwer im Halfter an meiner linken Schulter hing.
Meine Pistole ist, wie Angie sagen würde, »nichts zum Herumspielen«. Es ist eine .44 Magnum Automatic, eine »Automag«, wie sie so vertraut in Treffpunkt Hongkong und ähnlichen Filmen genannt wird, und ich habe sie nicht aus Penisneid oder Clint-Eastwood-Neid gekauft oder weil ich die größte Knarre in der ganzen verdammten Gegend besitzen wollte. Ich habe sie aus einem einfachen Grund gekauft: weil ich ein miserabler Schütze bin. Ich muß mir sicher sein, daß ich, wenn ich sie jemals benutzen muß, mein Ziel treffe, und zwar so gut, daß es ausgeknockt ist und es auch bleibt. Wenn man manche Leute mit einer .32 in den Arm schießt, werden sie wütend, und das war es auch schon. Schießt man ihnen mit einer Automag in den Arm, bitten sie um einen Priester.
Bisher habe ich zweimal geschossen. Beim ersten Mal wollte mir ein bekloppter Schwachkopf von der Größe eines Kleiderschranks beweisen, wie hart er war. Er war aus seinem Auto gesprungen, nur noch zwei Meter von mir entfernt, und kam immer näher, so daß ich eine Salve abfeuerte, die quer durch seinen Motorblock schlug. Er starrte auf seinen Cordoba, als hätte ich gerade seinen Hund erschossen, und weinte fast. Aber der Qualm, der aus dem zerborstenen Metall seiner Motorhaube hervorquoll, überzeugte ihn, daß es Dinge gab, die stärker waren als er und ich.
Das zweite Mal war Bobby Royce. Er hatte die Hände damals um Angies Hals gelegt, und ich pustete ihm ein Stück aus dem Bein heraus. Wer Bobby Royce bislang noch nicht kannte: Er stand wieder auf. Er richtete seine Pistole auf mich und hielt sie immer noch fest, nachdem Angies Salven ihn gegen einen Hydranten geschleudert hatten und sein Augenlicht erloschen war. Bobby Royce trat mit auf mich gerichteter Pistole in die Leichenstarre ein, seine ausdruckslosen toten Augen sahen fast genauso aus wie zu dem Zeitpunkt, als er noch atmete.
Als ich vor Jennas letzter bekannter Adresse aus dem Auto stieg, trug ich ein hellgraues Leinensakko ohne Muster. Es war sehr groß, so daß die Pistole vollständig darunter verschwand. Die Gruppe Jugendlicher, die auf den Autos vor Jennas Haus herumlungerte, würde bestimmt nichts merken. Als ich über die Straße auf sie zuging, rief einer von ihnen: »Hey, Bulle, wo ist deine Wumme?«
Das Mädchen neben ihm kicherte: »Unter seiner Jacke, Jerome.«
Sie waren zu neunt. Die einen saßen auf dem Kofferraum eines ausgeblichenen blauen Chevy Malibu, dessen Vorderreifen mit einer knallgelben Kralle versehen waren, weil der Eigentümer seine Strafmandate nicht bezahlt hatte. Der Rest der Gruppe saß auf der Motorhaube des Autos hinter dem Malibu, eines kotzgrünen Granada. Zwei der Kinder rutschten von den Autos, gingen schnell mit gesenktem Kopf die Straße hinunter und rieben sich die Stirn.
Ich blieb neben den Autos stehen. »Jenna da?«
Jerome lachte. Er war sehnig und kräftig, gab sich in seinem lila Muskelshirt, den weißen Shorts und schwarzen Basketballschuhen jedoch betont locker. Er wiederholte »Jenna da?« in einem hohen Falsetto. »Als ob er ‘n alter Freund von Jenna ist.« Die anderen lachten. »Nein, Mann, Jenna ist für heute weg.« Er blickte mich an und rieb sich das Kinn. »Aber ich bin so was wie ihr Dienstbote. Du kannst ihr ja was über mich ausrichten.«
Die anderen brachen in Lachen aus, als er »Dienstbote« sagte.
Ich fand es auch komisch, doch mußte ich mich cool geben, deshalb antwortete ich: »Als ob mein Manager ihren Manager anruft?«
Jerome sah mich mit unbeweglicher Miene an. »Yeah, Mann, genau so. Immer zu Diensten.«
Noch mehr Gelächter.
So bin ich, Patrick Kenzie, ich kann wirklich gut mit Jugendlichen. Ich ging zwischen den beiden Autos durch, was nicht so einfach ist, wenn dir keiner Platz macht, aber ich schaffte es gerade so. »Vielen Dank für deine Hilfe, Jerome.«
»Hey, Mann, nicht der Rede wert. Gehört alles zu meiner Großartigkeit.«
Ich ging die Treppe zu Jennas Haus empor. »Ich lege ein gutes Wort für dich ein, wenn ich Jenna sehe.«
»Korrektes weißes Verhalten von dir«, antwortete Jerome, als ich die Tür zum Treppenhaus öffnete.
Jenna wohnte im zweiten Stock. Mühsam stapfte ich die Treppen hoch, der vertraute Geruch, den alle dreistöckigen Häuser in der Innenstadt verströmten, stieg mir in die Nase: abgeblättertes, von der Sonne gebleichtes Holz, alter Putz,
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