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Scudders Spiel

Scudders Spiel

Titel: Scudders Spiel
Autoren: D.G. Compton
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EINS
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    EINEN HIMMLISCHEN GOLDENEN HUPPELTAG!
    Pete Laznett, nackt und unrasiert, starrte verdrießlich aus dem Badezimmerfenster zu den gigantischen Buchstaben auf, die in gemächlichen Wellenbewegungen über den Himmel zogen. Sein Haus war in der besten Wohngegend der Stadt – tatsächlich der einzigen, die heutzutage bewohnt war –, hoch auf einem Hügel über dem Geschäftsviertel und dem alten Hafen, so daß die Buchstaben fast auf gleicher Höhe mit seinem Fenster waren. Er konnte die Drähte sehen, die sie miteinander und mit dem anmutigen, von Sonnenenergie angetriebenen Luftschiff an ihrem Anfang verbanden.
    Pete Laznett kratzte sich mit finsterer Miene. Von welcher Art der Eindruck unschuldiger Begeisterung auch sein mochte, der dieser Botschaft möglicherweise innewohnte, er wurde zunichte gemacht von dem scharlachroten Markenzeichen CHI, das für Cordwainer Huppel International stand und deutlich sichtbar an der schnittigen Flanke des Luftschiffes prangte. Und sie fingen früh an, weiß Gott … Noch nicht sechs Uhr, und schon waren sie dabei … Angewidert wandte er sich vom Fenster, ließ Wasser ins Becken einlaufen, wusch und rasierte sich. Er wich dem eigenen Blick im Spiegel aus. Es war einer jener Morgen, da er es vorzog, anonym zu bleiben.
    Seit vielen Jahren war der erste Montag im August der beliebteste aller internationalen Feiertage: der Huppeltag. Es war der große Tag der Familienfeiern, der Tag, an dem alle Leute ihre Angehörigen besuchten oder sie mit Aufmerksamkeiten bedachten. Und dieser Augusttag des Jahres 2039 sollte sich als noch bedeutsamer erweisen, bezeichnete er doch die fünfzigste Wiederkehr des Tages, als Conrad Huppel seine historische Entdeckung gemacht hatte. Daher der Goldene Huppeltag. Und daher, sollte jemand es womöglich vergessen haben, der durch die Luft wallende Glückwunsch EINEN HIMMLISCHEN GOLDENEN HUPPELTAG!
    Normalerweise hatte Pete Laznett nichts gegen ungeschminkten Kommerzialismus, solange er sich in Grenzen hielt. Auch hatte er nichts gegen Conrad Huppels Erfindung – er machte die ganze Zeit davon Gebrauch und hatte es während seines ganzen Lebens als Erwachsener so gehalten. Der Huppeltag war jedoch eine andere Sache: er verabscheute ihn. Die offizielle Begründung der Huppeltagsbesuche war nach CH International zweifacher Art: Kindesliebe, die er zu diesem späten Zeitpunkt nicht vorzugeben wagte, und die Dankbarkeit des Kindes, von den Eltern in die Welt gesetzt worden zu sein, was ihm auch schwerfiel. Nicht, daß Pete mit dem Schicksal, am Leben zu sein, gehadert hätte – das Leben war gut, und er hatte seine Freude daran, aber er sah darin keinen Grund, Maudie und Scudder dankbar zu sein. Für sie war die Elternschaft kaum eine gemeinsame und großzügige Entscheidung gewesen. Sie hatten ihn in die Welt gesetzt, weil sie waren, was sie waren. Die Welt war weitergegangen, und sie nicht. Sie waren einfache Leute. Sie hätten nicht anders handeln können.
    Nein, der einzige wahre Grund zur Dankbarkeit war, daß sie es mit dem einen Kind, ihm, hatten genug sein lassen – allzu oft vermehrten sich Leute ihrer einfachen Art wie Kaninchen. Da ihre Schlichtheit einen puritanischen Beigeschmack hatte, waren sie möglicherweise abgeneigt gewesen, die nötige leidenschaftliche Vereinigung noch einmal auf sich zu nehmen. Für welch betrüblichen Zustand er ihnen wirklich dankbar war – menschliche Beziehungen waren schon ohne Geschwister kompliziert genug. Eine derart unaufrichtige Dankbarkeit wäre jedoch ein unwürdiger Grund für einen Huppeltagsbesuch.
    Er hatte sein Zuhause und die Eltern vor siebzehn Jahren verlassen und seitdem nicht wiedergesehen. Anfangs war er aus Bitterkeit ferngeblieben; später war Verlegenheit an ihre Stelle getreten; und in jüngster Zeit Schuldgefühle. Und während dieser ganzen siebzehn Jahre hatte er ihnen nur die unbedeutendsten Geschenke geschickt. So kam es, daß der Huppeltag unheilvolle Gespenster auferstehen ließ und an sein schlechtes Gewissen rührte. Er verabscheute ihn.
    An diesem Morgen des 6. August 2039 war Pete Laznett jedoch frühzeitig aufgestanden. Er wollte trotz allem seine Eltern besuchen. Am Huppeltag besuchte jedermann seine Eltern, oder schickte ihnen wenigstens ein besonderes Geschenk. So war es im Sinne des alten Huppel.
    Pete überquerte den Treppenabsatz zu seinem Ankleidezimmer. Behutsam öffnete er die Tür zum Kleiderschrank, durchsuchte leise die an der Stange hängenden
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