Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
Vom Netzwerk:
uns niemals so brutal verdroschen, daß wir nicht zur Schule gehen konnten. Meine Mutter folgte dem Held sechs Monate später ins Grab, deshalb konnte ich sie auch nicht fragen. Aber ich bezweifle, daß sie mir etwas erzählt hätte. Irische Eltern sind nicht gerade bekannt dafür, daß sie sich vor ihren Kindern schlecht über ihren Gatten oder ihre Gattin äußern.
    In meiner Wohnung lehnte ich mich auf der Couch zurück und dachte wieder mal über den Helden nach, wobei ich mir schwor, dies sei das letzte Mal. Das Gespenst war nicht mehr da. Aber ich belog mich selbst und wußte es auch. Nachts weckte mich der Held auf. Er lauerte mir auf - im Dunkeln, in Gassen, in den antiseptischen Gängen meiner Träume, in der Trommel meiner Pistole. Genauso wie damals, als er noch lebte, tat er einfach das, was ihm Spaß machte.
    Ich stand auf und ging am Fenster vorbei zum Telefon. Draußen auf dem Schulhof auf der anderen Straßenseite bewegte sich plötzlich etwas. Die Kids aus der Siedlung lungerten wieder im Dunkeln herum, saßen in den tiefen Fensterbänken aus Stein, rauchten einen kleinen Joint, tranken ein paar Bier. Warum nicht. Als ich ein Kid aus der Siedlung war, tat ich genau dasselbe. Ich, Phil, Bubba, Angie, Waldo, Haie, alle.
    In der Hoffnung, Richie wie immer zu später Stunde noch auf der Arbeit zu erwischen, wählte ich seine Durchwahl bei der Trib. Seine Stimme schnitt schon das erste Klingeln ab: »Lokalredaktion. Nicht auflegen.« Dann floß eine WeichspülerVersion von Die glorreichen Sieben wie Sirup durch die Leitung.
    In dem Moment erhielt ich die Antwort auf eine von diesen »Was stimmt nicht in diesem Bild«-Fragen, ohne daß ich mir die Frage überhaupt bewußt gestellt hatte. Es scholl keine Musik vom Schulhof herauf. Kids gehen niemals ohne ihre Ghettoblaster aus dem Haus, auch wenn sie allen dadurch ihren Aufenthaltsort verraten. Das gilt als schlechtes Benehmen.
    Durch den Spalt im Vorhang blickte ich auf den Schulhof hinunter. Keine plötzlichen Bewegungen mehr. Überhaupt keine Bewegung. Keine glühenden Zigarettenstummel oder klirrenden Flaschen. Ich spähte angestrengt in die Ecke, wo ich etwas gesehen hatte. Die Schule hatte die Gestalt eines E ohne Mittelstrich. Die beiden Querstriche oben und unten sprangen gut zwei Meter vor. In die rechten Winkel drang kein Licht. Die Bewegung hatte ich in dem Winkel zu meiner Rechten wahrgenommen.
    Ich hoffte immer noch auf ein Streichholz. Wenn im Film ein Detektiv verfolgt wird, ist der Verfolger immer so blöd, ein Streichholz anzuzünden, damit der Held ihn entdecken kann. Dann warnte ich mich, daß ich mich in keinem billigen Krimi befand. Wahrscheinlich hatte ich eine Katze gesehen.
    Trotzdem guckte ich weiter nach unten.
»Lokalredaktion«, meldete sich Richie.
»Hast du schon gesagt.«
»Mista Kenzie«, antwortete Richie. »Wie geht es?« »Gut geht es«, erwiderte ich. »Hab’ gehört, du hast Mulkern
    heute wieder ans Bein gepinkelt.«
»Mein Lebensinhalt«, sagte Richie. »Auf Nilpferde, die sich
als Wale verkleiden, wird geschossen.«
Ich würde auf der Stelle wetten, daß dieser Spruch auf einer
sieben mal zwölf Zentimeter großen Postkarte über seinem
Schreibtisch hing. »Was ist die wichtigste Gesetzesvorlage für
die nächste Sitzung?«
»Die wichtigste Gesetzesvorlage…«, wiederholte er und
dachte nach. »Keine Frage: das Gesetz gegen
Straßenterrorismus.«
Irgend etwas bewegte sich im Schulhof. »Das Gesetz gegen
Straßenterrorismus ?«
»Ja. Alle Mitglieder von Straßengangs werden dadurch zu
›Straßenterroristen‹, das heißt, man kann sie in den Knast
stecken, nur weil sie zu einer Streetgang gehören. Einfach
ausgedrückt…«
»Drück dich noch einfacher aus, damit ich es auch
verstehe.«
»Klar. Einfach ausgedrückt, würden Straßengangs dadurch
als paramilitärische Gruppen eingestuft, mit Zielen, die den
Interessen des Staates diametral entgegenstehen. Das heißt,
sie werden wie eine Invasionsarmee behandelt. Jeder, der
Gangfarben trägt, wer nur eine Baseballmütze der Raiders
trägt, begeht Verrat. Wandert direkt in den Knast, ohne
Bewährung.«
»Wird sie durchkommen?«
»Wahrscheinlich. Eigentlich sogar sehr wahrscheinlich,
wenn man bedenkt, daß alle die Gangs unbedingt loswerden
wollen.«
»Und?«
»Und in weniger als sechs Monaten wird das Gesetz
gerichtlich aufgehoben werden. Es ist eine Sache, zu sagen:
Wir sollten das Kriegsrecht erklären und diese Schweine von
der Straße holen, scheiß auf die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher