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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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Paulson wußte, mit welchem Jungen er an jenem Tag zusammengewesen war; er hatte im Laufe der Jahre bestimmt viel zu viele gehabt. Und selbst wenn er es wußte, bezweifelte ich, daß er es von den Dächern schreien würde. Socia beteiligte sich in letzter Zeit nicht mehr an der öffentlichen Diskussion, und Angie und ich waren auch nicht involviert.
    Richie war ein Wahnsinnsjournalist. Bereits im dritten Absatz hatte er Paulson mit Socia und Socia mit Jenna in Verbindung gebracht, dann merkte er an, daß Paulsons Antrag auf einen zusätzlichen Urlaubstag im Protokoll der gesetzgebenden Sitzung vom Freitag festgehalten war, der Tag, an dem die Gesetzesvorlage gegen Straßenterrorismus zur Abstimmung anstand. Niemals spielte Richie auf etwas an oder klagte an. Er knallte den Leuten nur eine Tatsache nach der anderen auf den Frühstückstisch und ließ sie ihre eigenen Schlußfolgerungen ziehen.
    Ich hatte so meine Zweifel, daß es viele kapieren würden, doch einige bestimmt.
Paulson machte angeblich Urlaub im Familiendomizil in Marblehead, doch als ich die Frühnachrichten im Fernsehen anstellte, standen Devin und Oscar vor den Kameras in Marblehead. Oscar sagte: »Senator Paulson hat eine Stunde Zeit, um sich auf die Polizeiwache von Marblehead zu begeben, ansonsten holen wir ihn ab.«
Devin sagte nichts. Er stand grinsend neben seinem Partner und hatte eine riesengroße Zigarre im Mund.
Der Reporter fragte Oscar: »Sergeant Lee, Ihr Kollege scheint sich ja nicht schlecht darüber zu freuen.«
Oscar antwortete: »Er freut sich so, daß er nicht weiß, ob er sich in die Hose scheißen…« Dann wurde Werbung eingespielt.
Ich schaltete um und sah Sterling Mulkern auf Channel Seven. Er stieg die Stufen zum State House hinauf, neben ihm trabte eine ganze Armee von Leuten, einige Meter hinter ihm versuchte Jim Vurnan, Schritt zu halten. Wie ein Ruderblatt im Toten Meer arbeitete sich Mulkern durch die Masse von Mikrophonen und murmelte die ganze Zeit »Kein Kommentar«, bis er durch die Eingangstür verschwand. Irgendwie hoffte ich, er würde die Sache interessanter gestalten, indem er auch mal »Ich erinnere mich nicht« sagte, damit es nicht ganz so eintönig war, aber mich zufriedenzustellen stand heute wohl nicht ganz oben auf seiner Tagesordnung.
Inzwischen war auch Angie aufgewacht, sie stützte ihren Kopf auf die Armlehne der Couch, auf der sie geschlafen hatte. Ihre Augen waren zwar noch verschwollen vom Schlafen, aber aufgeweckt. Sie bemerkte: »Manchmal ist dieser Job gar nicht so schlecht, Scooter.«
Ich saß am Fußende der Couch auf dem Boden und sah sie an: »Stehen deine Haare morgens früh immer so ab?«
Keine kluge Bemerkung, wenn man in der Nähe von Füßen sitzt. »Autsch«, sagte ich.
Sie stand auf, warf mir die Bettdecke über den Kopf und fragte: »Kaffee?«
»Ja, gerne.« Ich zog mir die Decke vom Kopf.
»Dann mach doch bitte für uns beide einen, ja?« Sie trabte ins Badezimmer und stellte die Dusche an.
Auf Channel Five waren schon die beiden Nachrichtensprecher da und versprachen, dranzubleiben, bis alle Fakten bekannt waren. Ich wollte ihnen sagen, daß sie sich in dem Fall die nächsten zehn Jahre lang Pizza in den Sender bringen lassen könnten, verschluckte es dann aber. Das würden sie schon selbst merken.
Ken Mitchum auf Channel Seven sagte, es sei wahrscheinlich der größte Skandal seit den Curly-Jahren.
Als ich Channel Six einschaltete, zog man bereits Parallelen zum Charles-Stuart-Fall, verglich die rassistischen Untertöne in beiden Fällen. Ward lächelte, als er das erzählte, aber Ward lächelt ja immer. Laura dagegen sah ziemlich genervt aus. Laura ist schwarz; ich konnte es ihr nicht verübeln.
Angie kam vom Duschen zurück, sie hatte meine grauen Shorts und ein weißes Polo-Shirt angezogen. Das Polo war ebenfalls von mir, aber ihr stand es sehr viel besser. »Wo ist mein Kaffee?« fragte sie.
»Wo die Glocke ist. Sag mir Bescheid, wenn du eins von beiden findest.«
Sie runzelte die Stirn und bürstete sich mit seitlich geneigtem Kopf die Haare.
Das Foto von Socias Leiche erschien auf dem Bildschirm. Kurz hielt sie beim Bürsten inne. »Wie geht es dir?« erkundigte ich mich.
Sie nickte in Richtung Fernsehen. »Gut, solange ich nicht drüber nachdenke. Los, laß uns rausgehen.«
»Und wohin?«
»Tja, Baby, ich weiß nicht, was du vorhast, aber ich möchte jetzt ein bißchen von unserem Zuschlag unter die Leute bringen. Und«, fügte sie hinzu, während sie sich reckte und die
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