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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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langen Haare nach hinten warf, »wir müssen Bubba besuchen.«
»Hast du daran gedacht, daß er sauer auf uns sein könnte?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Irgendwann müssen wir alle sterben, oder?«
Ich kaufte einen Gameboy für Bubba, dazu ein paar Kill-denKommunisten-Spiele. Angie holte ihm eine Freddy-KruegerPuppe und fünf Porno-Magazine.
Vor seiner Tür stand eine Polizeiwache, doch nach einigen Anrufen durften wir rein. Als wir eintraten, las Bubba das zerfledderte Kochbuch für Anarchisten, er lernte gerade, wie er bei sich im Hinterhof auf besonders raffinierte Art eine Wasserstoffbombe bauen konnte. Er sah zu uns auf, und eine Sekunde lang, die längste meines Lebens, wußte ich nicht, ob er sauer war oder nicht.
Er sagte: »Höchste Zeit, daß einer vorbeikommt, den ich leiden kann.«
Da wußte ich wieder, wie man atmet.
Er war blasser, als ich ihn je gesehen hatte, und die gesamte linke Hälfte seiner Brust und sein linker Arm waren eingegipst, aber vom Gips abgesehen, habe ich schon Menschen mit einer Erkältung gesehen, die weniger gesund aussahen. Angie beugte sich über ihn und küßte ihn auf die Stirn, dann zog sie plötzlich seinen Kopf an ihre Brust und hielt ihn einen Augenblick mit geschlossenen Augen fest. »Ich hab’ mir solche Sorgen um dich gemacht, du Verrückter.«
»Was mich nicht umbringt, härtet mich ab.«
Bubba. Tiefschürfend wie immer.
Dann rief er: »Eine Freddie-Krueger-Puppe! Voll geil!« Er sah mich an: »Und was hast du mir mitgebracht, Kumpel?«
    Wir blieben ungefähr eine halbe Stunde. Anfangs hatten die Ärzte gedacht, er müßte mindestens eine Woche auf der Intensivstation bleiben, aber jetzt meinten sie, er könnte in zwei Tagen entlassen werden. Natürlich würde Anklage gegen ihn erhoben werden, doch er versicherte uns: »Was ist schon ein Zeuge? Echt. Ich habe noch nie einen gesehen. Sind das die Leute, die immer an Gedächtnisschwund leiden, wenn ich vor Gericht muß?«
    Wir gingen die Charles Street hinunter Richtung Back Bay. Angies Kreditkarte brannte ein Loch in ihre Hosentasche. Bonwit Teller hatte keine Chance. Sie fiel dort wie ein Wirbelsturm ein, und als wir gingen, trugen wir die Hälfte der Ware aus dem Erdgeschoß in Papiertüten davon.
    Ich verbrachte eine halbe Stunde bei Eddie Bauer, dann noch mal zwanzig Minuten in Banana Republic im Copley Place, doch fängt mein Magen immer an zu rebellieren, wenn ich mich in der Nähe von vier Stockwerke hohen Marmorwasserfällen, Fensterrahmen aus massivem Gold und Schaufenstern mit fünfundachtzig Dollar teuren Socken befinde. Wenn Donald Trump kotzen muß, liegt als Ergebnis wahrscheinlich Copley Place im Klo.
    Wir nahmen den Hinterausgang, da man dort mitten am Nachmittag in der Innenstadt am ehesten ein Taxi finden konnte. Wir überlegten uns gerade, wo wir Mittag essen sollten, als ich Roland am Fuß der Rolltreppe stehen sah, seine große lässige Gestalt versperrte den Weg zum Ausgang. Einen Arm hatte er in Gips, ein Auge war zugeschwollen, mit dem anderen starrte er uns unbewegt an.
    Ich griff unter mein Hemd, das ich nicht in die Hose gesteckt hatte, und faßte an meine Neun-Millimeter, die kalt am Bauch, aber warm in der Hand lag.
    Roland trat einen Schritt zurück. »Ich will reden.«
Ich ließ die Hand an der Waffe.
Angie sagte: »Dann leg los!«
»Kommt ein Stück mit mir.« Er ging durch die Drehtür nach
    draußen.
    Ich bin mir nicht sicher, warum wir ihm folgten, aber wir taten es.
Die Sonne schien kräftig, die Luft war warm, aber nicht zu feucht, als wir die Dartmouth Street hinuntergingen und uns langsam von den protzigen Hotels und malerischen Geschäften entfernten, wo die Yuppies ihren Cappuccino schlürften. Sie bildeten sich ein, dies sei die Zivilisation. Wir überquerten Columbus Avenue und liefen durch das South End; schließlich wichen die restaurierten Häuser aus rötlichbraunem Sandstein anderen, die etwas mitleiderregender aussehen, die von dem Pioniergeist der Perrier trinkenden Gesellschaft noch nicht berührt worden waren. Wir gingen weiter nach Roxbury hinein, ohne ein Wort zu sagen. Als wir über die Bezirksgrenze gingen, sagte Roland: »Ich will nur kurz mit euch reden.«
Ich blickte mich um und sah nichts, das mich hätte beruhigen können, doch aus irgendeinem Grund vertraute ich ihm. Nachdem ich die Schlinge untersucht hatte, in der sein Arm steckte, und gesehen hatte, daß dort keine Pistole versteckt war, hatte ich auch einen Grund, mich sicher zu fühlen. Aber das war
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