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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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Handbewegung. »Dann verpiß dich doch!« Er schloß die Augen. »Was willst du hier überhaupt?«
Ich lehnte mich zurück und betrachtete den verbrauchten Körper, wartete darauf, daß er seine Wirkung auf mich verlor, daß das giftige Gemisch aus Liebe und Haß nicht mehr durch meinen Körper strömte. »Dich sterben sehen«, antwortete ich.
Er lächelte, die Augen waren noch immer geschlossen. »Aha«, bemerkte er, »ein Aasgeier. Dann bist du also doch deines Vaters Sohn.«
Danach schlief er für kurze Zeit, und ich beobachtete ihn, lauschte den Glassplittern, die in seiner Brust rasselten. Damals erkannte ich, daß die Erklärung, auf die ich mein ganzes Leben lang gewartet hatte, in dieser verbrauchten Hülle, in diesem verkommenen Hirn versiegelt war und niemals zum Vorschein kommen würde. Sie sollte zusammen mit meinem Vater die dunkle Reise zu dem Ort antreten, den er sah, wenn er die Pupillen in den Schädel drehte. Dieses dunkle Wissen gehörte ihm allein, und er wollte es mitnehmen, damit er auf seiner Reise etwas zu lachen hatte.
Um halb sechs öffnete mein Vater die Augen und zeigte auf mich. »Da brennt was. Da brennt was«, sagte er. Dann riß er die Augen weit auf und öffnete den Mund, als wolle er losheulen.
Dann starb er.
Und ich sah ihm zu und wartete.

31_____
    Es war halb zwei in der Nacht zum fünften Juli, als wir Sterling Mulkern und Jim Vurnan in der Bar des Hyatt Regency in Cambridge trafen. Sie befindet sich in einem dieser Drehtürme, und während wir uns langsam im Kreis drehten, glitzerte die Stadt unter uns, und die roten Steinbrücken über dem Charles wirkten schön und alt; selbst der efeubewachsene Backstein von Harvard ärgerte mich heute nicht.
    Mulkern trug einen grauen Anzug mit einem weißen Hemd, keine Krawatte. Jim steckte in einem rund ausgeschnittenen Angorapullover und einer braunen Baumwollhose. Beide sahen nicht gerade erfreut aus.
    Angie und ich waren wie immer angezogen, wir machten uns keine Gedanken darüber.
Mulkern begrüßte uns: »Ich hoffe, du hast einen guten Grund dafür, uns zu so einer Zeit rauszurufen, Junge.«
»Sicher«, antwortete ich. »Bitte wiederholen Sie noch mal unsere Abmachung, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Also komm«, mahnte Mulkern. »Was soll das?«
»Wiederholen Sie die Vertragsbedingungen«, sagte ich.
Mulkern warf Jim einen Blick zu und zuckte mit den Achseln. Jim bemerkte: »Patrick, du weißt verdammt gut, daß wir uns auf euren Tagessatz plus Spesen geeinigt haben.«
»Plus?«
»Plus einer Zulage von siebentausend Dollar, wenn ihr die Unterlagen vorlegt, die Jenna Angeline gestohlen hat.« Jim war gereizt; vielleicht nötigte ihn seine blonde Frau mit dem Diplom von Vassar und der aparten Kurzhaarfrisur wieder dazu, auf der Couch zu schlafen. Oder ich hatte sie bei ihrem alle zwei Monate stattfindenden Stelldichein unterbrochen.
Ich erklärte: »Sie haben mir zweitausend Dollar Vorschuß gegeben. Ich habe sieben Tage an dem Fall gearbeitet. Wenn ich kleinlich wäre, ist dies sogar der Morgen des achten Tages, aber ich will mal nicht so sein. Hier ist die Rechnung.« Ich reichte sie Mulkern.
Er sah sie kaum an. »Grotesk überzogener Preis, aber wir haben dich angeheuert, weil du angeblich dein Geld wert bist.«
»Wer hat Curtis Moore auf mich angesetzt? Sie oder Paulson?«
Jim warf ein: »Was redest du da für eine Scheiße? Curtis Moore hat für Socia gearbeitet.«
»Aber er hat es geschafft, sich gut fünf Minuten nach unserem ersten Treffen an mich zu hängen.« Ich sah Mulkern an. »Wie praktisch!«
Mulkerns Blick ließ nichts erkennen; er war die Art von Mann, an dem noch so viele Mutmaßungen, wie logisch sie auch sein mochten, einfach abprallten, solange sie nicht durch Beweise gestützt wurden. Und wenn es Beweise gab, konnte er immer noch sagen: »Ich kann mich nicht erinnern.«
Ich nippte am Bier. »Wie gut haben Sie meinen Vater gekannt?«
»Ich habe deinen Vater gut gekannt, Junge, und jetzt mach weiter.« Er sah auf die Uhr.
»Sie wußten, daß er seine Frau schlug und seine Kinder mißhandelte.«
Mulkern zuckte mit den Achseln. »Geht mich nichts an.«
»Patrick«, mischte sich Jim ein, »dein Privatleben tut hier nichts zur Sache.«
»Irgend jemand muß es doch was angehen«, erwiderte ich. Ich sah Mulkern an. »Wenn Sie das von meinem Vater wußten, Senator, von einem Beamten, warum haben Sie nichts dagegen unternommen?«
»Ich hab’s dir gerade gesagt, Junge, es geht mich nichts an.«
»Und was geht Sie
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