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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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Trommelfell.
Eugene stöhnte und berührte seine Nase.
Angie sah zu Socia hinüber, der wie ein Krebs suchend über den Boden krabbelte. Sie blickte zurück zu mir und nickte.
Socia richtete sich auf und trat mit den Bildern in der Hand unter eine Laterne.
Ich fragte: »Wie viele noch, Socia?«
»Was?« sagte er, während er die Blätter zu einem Haufen zusammenschob.
»Wie viele Menschen willst du noch fertigmachen, bis es dir reicht? Bis selbst du es satt hast?«
»Mach es, Patrick. Jetzt«, sagte Angie zu mir.
Socia warf ihr einen kurzen Blick zu, dann mir, seine Augen waren leer. Ich glaube nicht, daß er meine Frage verstand. Er glotzte mich an und wartete, daß ich mich erklärte. Nach einer guten Minute hielt er die Bilder hoch. Mit dem Daumen fuhr er auf dem obersten zwischen Rolands nackte Oberschenkel. »Kenzie, ist das jetzt alles oder was?«
»Ja, Socia«, antwortete ich, »das ist alles.« Ich hob die Pistole und schoß ihm in die Brust.
Er ließ die Kopien fallen und fühlte mit der Hand nach dem Loch, dabei stolperte er rückwärts, fiel aber nicht hin. Er sah sich das Loch und das Blut auf seiner Hand an. Er schien überrascht zu sein und einen Moment sogar große Angst zu haben. »Scheiße, warum hast du das gemacht?« hustete er.
Ich spannte den Hahn erneut.
Er sah mich an, und die Furcht wich aus seinen Augen. Die Pupillen füllten sich mit kalter Zufriedenheit, einer dunklen Gewißheit. Er grinste.
Ich schoß ihm in den Kopf, Angies Pistole ging gleichzeitig los. Die Kugeln warfen ihn rücklings auf den Salzhügel, von wo er auf den Betonboden rutschte.
Angie zitterte ein bißchen, doch war ihre Stimme fest: »Schätze, Devin hatte recht.«
Ich blickte auf Socia hinunter. »Wieso?«
»Manche Leute kann man nur umbringen oder in Ruhe lassen, weil man sie eh nicht ändern kann.«
Ich bückte mich und suchte die Fotos zusammen.
Angie kniete sich neben Eugene und säuberte seine Nase und sein Gesicht mit einem Taschentuch. Er schien weder überrascht noch erfreut oder verstört zu sein. Die Pupillen waren glasig und blickten ins Weite. Angie fragte: »Kannst du laufen?«
»Ja.« Er stand unsicher auf, schloß kurz die Augen und atmete langsam aus.
Ich fand die Kopie, nach der ich gesucht hatte, wischte meine Hände mit dem Sand ab und steckte das Bild in Socias Jacke. Eugene stand jetzt sicher auf den Beinen. Ich wandte mich an ihn: »Geh nach Hause!«
Er nickte und ging ohne ein Wort zu sagen los. Er kletterte die Böschung hoch und verschwand hinter den Büschen.
Eine Minute später nahmen Angie und ich den gleichen Weg, und als wir zu meiner Wohnung gingen, legte ich ihr den Arm um die Hüfte und versuchte, nicht darüber nachzudenken.

30_____
    In der letzten Woche seines Lebens wog mein Vater mit seinen einsfünfundachtzig sechsundfünfzig Kilo.
Um drei Uhr morgens lauschte ich in seinem Krankenzimmer dem Rasseln seiner Brust, es klang, als kochten Glassplitter in einem Kessel. Beim Ausatmen hörte es sich an, als müßte er die Luft durch mehrere Lagen Gaze pressen. In den Mundwinkeln klebte weißer, getrockneter Speichel.
Als er die Augen öffnete, schienen die grünen Pupillen haltlos im Weißen zu schwimmen. Er wandte den Kopf in meine Richtung. »Patrick.«
Ich beugte mich ihm entgegen, das Kind in mir war immer noch vorsichtig, beobachtete noch immer seine Hände, war bereit, zurückzuzucken, wenn sie sich zu plötzlich bewegten.
Er lächelte. »Deine Mutter liebt mich.«
Ich nickte.
»Das ist etwas…« Er hustete, und die Anstrengung krümmte seinen Körper, ließ ihn den Kopf vom Kissen heben. Er verzog das Gesicht und schluckte. »Das ist etwas, was ich mitnehmen kann. Dahin«, sagte er und drehte die Augen in den Schädel, als könnten sie einen Blick von dem erhaschen, wohin er ging.
»Das ist schön, Edgar«, erwiderte ich.
Er schlug mir schwach mit der Hand auf den Arm. »Du haßt mich immer noch, stimmt’s?«
Ich blickte in die schwimmenden Pupillen und nickte.
»Was ist mit dem ganzen Scheiß, den die Nonnen euch beigebracht haben? Was ist mit Vergebung?« Müde, aber dennoch amüsiert hob er eine Augenbraue.
»Die hast du aufgebraucht, Edgar. Schon lange.«
Wieder griff die schwache Hand nach mir und streifte meinen Bauch. »Immer noch sauer wegen der kleinen Narbe?«
Ich starrte ihn an und ging nicht darauf ein, sagte ihm nur, daß es nichts mehr gab, das er mir noch hätte wegnehmen können, selbst wenn er stark genug wäre.
Er machte eine abwertende
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