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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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Boden hoch und rollte sich auf den Salzhügel. Die Fotokopien flatterten wild durcheinander. Eugene ließ die Waffe fallen. Ich ließ sein schlüpfriges Handgelenk los, und er fiel sofort zu Boden, mit einem weichen Plopp traf sein Kopf auf dem Beton auf.
Ich nahm die Pistole hoch und sah Angie an. Sie hielt den Arm ausgestreckt und zielte mit der .38 abwechselnd auf Socia und Eugene.
Eugene setzte sich auf und legte die Hände auf die Oberschenkel, Blut floß aus seiner gebrochenen Nase.
Im Schatten der Schnellstraße lag Socia schlaff auf dem Salzhügel. Ich wartete, doch er bewegte sich nicht.
Angie trat zu ihm hinüber und sah nach. Sie griff nach seinem Handgelenk, da rollte er sich auf den Rücken. Er guckte uns an Und fing an zu lachen, ein tiefes, grollendes Bellen. Wir sahen ihm zu, während er versuchte, sich zusammenzureißen, aber es gelang ihm nicht. Er wollte sich gerade vor den Salzhaufen setzen, doch die Bewegung lockerte das Salz über ihm, so daß es in sein Hemd rutschte. Darüber mußte er noch lauter lachen. Er rutschte den Haufen herunter wie ein Betrunkener auf einem Wasserbett und schlug mit der Hand auf das Salz ein. Sein schallendes Gelächter erfüllte die Luft, und kurze Zeit lang übertönte es sogar den Lärm der über unseren Köpfen fahrenden Autos.
Schließlich beugte er sich vor und hielt sich den Bauch. »Junge, Junge. Kann man in dieser Welt denn keinem mehr trauen?« Er kicherte und sah den Jungen an. »Hey, Eugene, was hat dir Roland bezahlt, daß du mich verrätst?«
Eugene schien ihn nicht zu hören. Seine Haut hatte den ungesunden Farbton eines Menschen angenommen, der gegen die Übelkeit ankämpft. Er atmete tief ein und griff sich mit der Hand ans Herz. Die gebrochene Nase schien ihm nichts auszumachen, doch der Gedanke an das Ungeheuerliche dessen, was er gerade versucht hatte und was daraus geworden war, riß seine Augen weit auf. Unermeßlicher Schrecken schwamm in seinem Blick, und ich merkte, daß sein Gehirn fieberhaft beschäftigt war, daß es in seiner Seele nach dem Mut fahndete, der für diese Art der Kündigung notwendig war.
Socia stand auf und bürstete sich das Salz vom Anzug. Langsam schüttelte er den Kopf, dann bückte er sich, um die verstreuten Fotos aufzuheben. »Mannomann. So ‘n tiefes Loch gibt’s gar nicht, oder so ‘n großes Land, wo du deinen Arsch verstecken kannst, Junge. Roland hin oder her, du bist erledigt.«
Eugene blickte auf seine kaputte Sonnenbrille, die vor ihm auf dem Boden lag, und erbrach sich auf den Schoß.
Socia sagte: »Mach ruhig, was du willst. Hilft dir auch nicht mehr.«
Mein Nacken und meine Ohrläppchen fühlten sich seltsam heiß an, mein Blut kochte unter der Haut. Über uns kreischte die metallene Verlängerung der Schnellstraße, als ein Konvoi von Sattelschleppern über uns hinwegdonnerte.
Ich blickte auf den Jungen nieder und hatte es plötzlich satt, furchtbar satt, das ganze Sterben, den engstirnigen Haß, die Dummheit und abgrundtiefe Gleichgültigkeit, die mich in der letzten Woche wie ein Sog in sich hineingezogen hatten. Ich hatte diese ganzen hochtrabenden Diskussionen satt: schwarz gegen weiß, reich gegen arm, gut gegen böse. Die Bosheit, die Sinnlosigkeit und Marion Socia mit seiner zur Schau gestellten Grausamkeit. Ich hatte das alles zu satt, um mir noch über moralische Hintergründe, Politik oder etwas anderes Gedanken zu machen als über die glasigen Augen dieses Jungen dort am Boden, der nicht mehr zu wissen schien, wie man weinte. Sie hatten mich erschöpft, die ganzen Socias, Paulsons, Rolands und Mulkerns dieser Welt und die Geister ihrer Opfer, die mir flehentlich ins Ohr flüsterten, ich solle jemand dafür zur Rechenschaft ziehen. Damit es ein Ende hatte.
Socia suchte zwischen den Hügeln herum. »Kenzie, wie viele Bilder waren das ?«
Ich spannte den Hahn der .45, während Lkw-Reifen über uns erbarmungslos heulend gegen das schwere Metall schlugen, einem Ziel entgegenbrausten, das ebensogut tausend Meilen entfernt sein konnte wie um die nächste Ecke.
Ich betrachtete das Nasenbein, das ich gebrochen hatte. Wann hatte er vergessen, wie man weint?
»Kenzie, wie viele von den verfluchten Fotos hast du mir gegeben?«
Angie starrte mich an. Ich wußte, daß das Getöse von oben auch in ihrem Kopf wütete.
Socia hob eine weitere Kopie auf. »Scheiße, Mann, das waren jetzt hoffentlich alle.«
Der letzte der Lkw ratterte vorbei, doch das Heulen pochte noch immer in fiebriger Erregung gegen mein
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