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Streng vertraulich

Streng vertraulich

Titel: Streng vertraulich
Autoren: Dennis Lehane
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Minderjährigen.
Und Menschen wie Socia kamen eine Zeitlang durch, vielleicht sogar ganz schön lange. Sie töteten und verstümmelten und machten das Leben der Menschen um sie herum häßlich und trostlos, doch früher oder später endeten sie wie Socia selbst; unter einer Schnellstraße sickerte ihnen das Hirn aus dem Kopf. Sie endeten auf Seite dreizehn der Lokalzeitung, und die Bullen zuckten mit den Achseln und strengten sich nicht besonders an, den Mörder zu finden.
Einer in Ungnade gefallen, einer tot. Einer lebte, einer tot. Einer weiß, einer tot.
Ich raufte mir das Haar und spürte den Staub und das Öl vom gestrigen Tag, roch den Müll und Schmutz an meinen Fingern. In dem Augenblick haßte ich die Welt und alles in ihr.
L.A. brennt, und in vielen anderen Städten schwelt es, alle warten auf den Schlauch, der Öl in das Feuer gießt, und wir hören auf Politiker, die unseren Haß und unsere Engstirnigkeit schüren und uns erzählen, daß wir uns nur aufs Wesentliche besinnen müssen, während sie in ihren Domizilen am Meer sitzen und der Brandung lauschen, damit sie die Schreie der Ertrinkenden nicht hören müssen.
Sie erzählen uns, es ginge um die Hautfarbe, und wir glauben ihnen. Sie nennen unser System eine Demokratie, und wir nicken mit dem Kopf, zufrieden mit uns selbst. Wir geben den Socias die Schuld, hin und wieder verspotten wir die Paulsons, doch wählen wir immer wieder Leute wie Sterling Mulkern. Und in unseren seltenen klaren Momenten fragen wir uns, warum uns die Mulkerns dieser Welt verachten.
Sie verachten uns, weil wir ihre geschändeten Kinder sind. Sie ficken uns morgens, mittags und abends, doch solange sie uns mit einem Kuß zu Bett bringen, solange sie uns ins Ohr flüstern: »Daddy liebt dich, Daddy paßt auf dich auf«, so lange schließen wir die Augen und schlafen ein, verkaufen unseren Körper, unsere Seele für die tröstlichen Worte Zivilisation und Sicherheit, für die verlogenen Idole unseres feuchten Traumes vom zwanzigsten Jahrhundert.
Und von unserem Glauben an diesen Traum sind die Mulkerns, Paulsons, Socias, Phils und die Helden dieser Welt abhängig. Das ist ihr dunkles Geheimnis. So gelangen sie zum Sieg.
Schwach lächelte ich Angie an. »Ich bin müde«, sagte ich.
»Ich auch.« Sie lächelte genauso schwach zurück. »Kaputt.« Sie ging zur Couch hinüber und breitete die Decke aus, die ich dort liegengelassen hatte. »Irgendwann sprechen wir das noch mal durch. Ja?«
»Ja. Irgendwann«, antwortete ich und ging ins Schlafzimmer. »Klar.«

33_____
    Das Foto, das wir Richie gegeben hatten, zeigte Senator Paulson in seiner ganzen Herrlichkeit. Besonders deutlich zeigte es, was ihm das Gefühl von Herrlichkeit verschaffte. Rolands Körper nahm ein Drittel des Bildes ein, man konnte sein Alter erahnen, die Zartheit des Körpers unter Paulson. An seinem Geschlecht war kein Zweifel. Doch anders als auf den meisten anderen Fotos war Rolands Gesicht nicht zu erkennen, nur die kleinen Ohren und der Hinterkopf. Socia stand im Hintergrund und guckte mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck zu, während er eine Zigarette rauchte.
    Die Trib brachte das Foto mit Weichzeichner und schwarzen Balken an den entsprechenden Stellen. Darunter war ein zweites gedruckt: Auf dem Bild lag Socia auf dem Rücken im Schutt, sein Körper wirkte wie eine Gummipuppe, die jemand vergessen hatte aufzublasen. Sein Kopf lag im Nacken, die kleine Pfeife hielt er noch immer in der Hand. Über dem Bild stand: MANN AUS PAULSON BILD ERMORDET.
    Richies Name stand nicht nur über seiner Kolumne, sondern auch über dem Kommentar zum Mord an Socia. Er schrieb, die Polizei habe bisher noch keine Verdächtigen, Fingerabdrücke könnten unbrauchbar sein, wenn der Mörder die Geistesgegenwart besessen habe, mit den Händen im Kies zu reiben, bevor er etwas anfaßte. Die hatte der Mörder tatsächlich besessen. Er erwähnte, daß man in Socias blutigem Leinensakko eine Kopie vom Paulson-Foto gefunden hatte. Er erwähnte Socias eheähnliches Zusammenleben mit Jenna Angeline, die gleiche Jenna Angeline, die unter anderem Putzfrau von Senator Paulson und Mulkern gewesen war. Sie brachten nochmals die Aufnahme ihrer Leiche vor dem drohend aufragenden State House.
    Es war der größte Skandal der Stadt, seit der Staatsanwalt den Charles-Stuart-Fall verschlampt hatte. Vielleicht größer. Wir mußten warten, bis alles rauskam.
    Was aber nicht rauskommen würde, war die Identität von Roland. Ich bezweifelte, daß
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