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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten
Autoren: Dietmar Dath
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I.
DIE HEIMSUCHUNG DER DREI STÄDTE
1. Necken statt Helfen
    Während das Rudel die Küste hinunterstrich, blieben vereinzelte Wölfe zurück und ruhten sich aus.
    Vier oder fünf Raben, die eine Weile mit ihnen geflogen waren, fingen an, sie zu belästigen. Die Vögel stießen hinab auf den Kopf oder den Schwanz je eines der Wölfe. Der duckte sich erst weg und sprang dann nach ihnen.
    Manchmal sah das nach Jagd aus: Die Raben flogen dicht über den Wolfsköpfen, dann hüpfte einer am Boden zu einem der ruhenden Wölfe, pickte nach seinem Schwanz und sprang geschickt zur Seite, wenn der Flinke nach ihm schnappte.
    Sobald ein Wolf sich rächen wollte, dem jeweiligen Raben folgte und ihn belauerte, ließ der Vogel ihn auf wenige Meter herankommen und flatterte erst in die Höhe, wenn es fast zu spät war.
    Dann landete er ein paar Fuß weit weg und wiederholte den Spaß.
2. Wer nicht hören will
    »Wieso«, fragte die Libelle Philomena ihre liebste Freundin, die Fledermaus Izquierda, »ist den Menschen eigentlich passiert, was ihnen passiert ist?«
    Das war im Sommer, als über den Hängen des größten Gebirges zwischen den drei Städten tagsüber wolkenlose Fernen blauten, nachts entlegenste Galaxien scharf umrissen blinkten und im Sumpf südlich von Landers wie aus dem Nichts Rohrgewächs emporschoß, obwohl es da vor lauter Hitze kaum noch feucht war.
    Schilf ohne Wasser: ein Rätsel.
    Während die Pelze der Dachse von der Hitze knisterten und die Schuppenhäute der Leguane schimmerten, als ob darunter Sterne steckten, fragten viele: Wieso war den Menschen passiert, was ihnen passiert war?

    Einige, vor allem Affen, hatten noch im Frühjahr geglaubt, es hätte vielleicht etwas mit der Liebe zu tun gehabt: »Das hatten sie nämlich immer am Hals«, erklärte der Affe Stanz seinen Bewunderern vor einem Gemälde, das er zur Illustration dieses Sachverhaltes gemalt hatte, »diesen Schmus mit der Liebe. Nichts als Ärger. Uns plagt das, wenn ich's richtig sehe, nicht.«
    Der Löwe hatte dem Affen auf allen Foren widersprechen lassen (durch die Libelle – er war sich längst zu wichtig geworden, selbst vor die Gente zu treten): »Wir haben Liebe, wie wir Sprache haben. Wir nennen's vielleicht anders – wobei die Wölfe es schon wieder Liebe nennen, und warum auch nicht? Es ist derselbe Zug zum Schönen, dieselbe Leidenschaft, derselbe lebensnotwendige, heilige Quatsch.«
    Du lieber Himmel, das Schöne, richtig. Soviel mußte auch der Affe Stanz zugeben: Schönheit erzeugte in denen, die nun, nach den Menschen, die Erde besaßen, ganz dieselben blumigen, käsigen und kosmischen Empfindungen und Bewegtheiten, die sie schon in den Menschen erzeugt hatte. Es gab den Rausch der Schöpfung, das Bemühen um den Erhalt des Geschaffenen, die Wertschätzung, das Verlangen, den Drang nach Erwerb des Schatzes, sogar die Lust auf seine Vernichtung (denn die Werte selbst hatten ein Magnetfeld um sich, das auch die Zerstörung anzog).

    Wenn es aber die Liebe nicht gewesen war, was die Menschen hatte scheitern lassen, warum war dann ihr lautes, stinkiges, sich alles aneignendes Weltbewohnen so blutig zu Ende gegangen? Hätte das, was sie waren, weiterwachsen können, nachdem die Grundlagen dafür verloren waren, gleichsam als Rohr, das gedieh, wo es nicht feucht war, als Schilf ohne Wasser? Noch stand es, blickte man in die Archive, in einer Art melancholischer letzter Blüte, als Erinnerung in Texten herum. Aber bevor man es ausschnitt, um es an sich zu nehmen, verdorrte es schon. Die Hoffnung der Menschen, das größte Talent der genialen Verwüster, war verloren, ihre Zuversicht war vergangen, ihr Ehrgeiz nur noch Spinnweb auf Büchern, die keiner mehr aufschlagen würde.
    Sie hatten sich auf ihr Haus verlassen, aber es hatte nicht standgehalten. Sie waren voll Saft im Sonnenschein gestanden, und die Reiser ihrer Pflanzungen waren hinausgewachsen über ihren Garten. Über Steinhaufen hatten sich ihre Wurzeln geschlungen und sich zwischen Brocken festgehalten. Da man sie aber vertilgt hatte von ihrer Stätte, so verleugnete die sie nun und kannte sie nicht.

    Die beste Freundin der Libelle roch nach Lorbeer und Aprikosen, dem damals üblichen Duftgemisch der Gelehrten in allen drei Städten. Ihre Flügel wirkten wächsern im weichen Dämmerlicht des Höhleneingangs. Ein silberner Lichtring spiralte um ihre kupfernen Krallen. Öligschwarzer Honig glänzte, wo die Augen guckten. Die schlaue Alte lächelte, zeigte ganz spitze
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