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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher
Autoren: Stanislaw Lem
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seelische Eigenschaften. Die Bitternishafte erzeugt bisweilen infolge Mutation anstelle der gewöhnlichen mehligen Knollen – kleine Hirne. Diese Variante, die Rasende Bitternishafte (gentiana mentecapta), beginnt in dem Maße, wie sie wächst, Unruhe zu verspüren; sie rodet sich, geht in den Wald, gibt sich einsamen Betrachtungen hin und gelangt gewöhnlich zu der Schlußfolgerung, daß es sich nicht lohne zu leben. Also begeht sie Selbstmord, nachdem sie die Bitterkeit ihrer Existenz begriffen hat.
      Für den Menschen ist die Bitternishafte unschädlich, im Gegensatz zu einer anderen belurischen Pflanze – dem Wüterich. Dank der natürlichen Anpassung hat sich dieser den Milieubedingungen angeglichen, wie sie unerträgliche Kinder erzeugen. Solche Kinder, die ununterbrochen herumlaufen, alles schieben und stoßen, was ihnen vor die Beine kommt, zerschlagen mit Vorliebe die Eier des hinterschaligen Scharfreizes; der Wüterich erzeugt als Früchte nämlich Gebilde, die diesen Eiern täuschend ähnlich sind. In dem Glauben, ein Ei vor sich zu haben, läßt das Kind seinem Zerstörungstrieb freien Lauf, stößt es mit den Füßen und zerschlägt es; dadurch gelangen die in diesem Pseudoei eingeschlossenen Sporen ins Freie und dringen in den Organismus des Kindes ein. Das angesteckte Kind entwickelt sich zu einem scheinbar normalen Individuum, aber nach einer gewissen Zeit kommt es zu einer unheil baren Bösartigkeit: Kartenspiel, Trunksucht und Ausschweifung bilden die jeweiligen Etappen, auf die der tödliche Abgang oder aber die große Karriere folgt. Ich bin so manches Mal auf die Meinung gestoßen, daß der Wüterich ausgemerzt werden sollte. Den Leuten kam es nicht in den Sinn, lieber die Kinder so zu erziehen, daß sie auf fremden Planeten nicht das erste beste mit Füßen stoßen.

    Ich bin von Natur aus Optimist und bemühe mich nach Kräften, meine gute Meinung von den Menschen zu erhalten, aber das fällt einem fürwahr nicht immer leicht. Auf der Protestenese lebt ein kleiner Vogel, die Entsprechung des irdischen Papageis, doch er redet nicht, sondern er schreibt. Leider beschmiert er mit Vorliebe Zäune, und zwar mit unanständigen Ausdrücken, die ihm die Touristen von der Erde beibringen. Diesen Vogel treiben gewisse Leu te absichtlich zur Raserei, indem sie ihm die orthographischen Fehler vorhalten. Dann beginnt er vor Wut alles zu schlucken, was er nur sieht. Man hält ihm Ingwer, Rosinen, Pfeffer sowie Kurzschrei hin, ein Kraut, das bei Sonnenaufgang einen gedehnten Schrei ausstößt (es ist ein Küchenkraut, das manchmal statt eines Weckers benutzt wird). Wenn sich das Vögelchen überfressen hat und umkommt, wird es am Spieß gebraten. Es heißt Reizbarer Schreiberling (graphomanus spasmaticus Essenbachii). Heute ist diese seltene Art von der Ausrottung bedroht, denn jeder Tourist, der auf der Protestenese eintrifft, wetzt sich schon die Zähne in Gedanken an den Leckerbissen, für den die im Fieberwahn gebratenen Schreiberlinge gelten.
      Gewisse Personen glaubten, daß es durchaus in Ordnung sei, wenn wir Geschöpfe von anderen Planeten aufessen; verhält sich die Sache dagegen umgekehrt, so erheben sie ein Geschrei, rufen um Hilfe, verlangen Strafexpeditionen und so weiter. Dabei sind alle Anklagen der kosmischen Fauna oder Flora wegen Perversität und betrügerischer Neigungen ein antropomorphisierender Unfug.
      Wenn der Augentäuscher, dessen Äußeres an einen morschen Stamm erinnert, sich in entsprechender Pose auf die Hinterbeine stellt und einen Wegweiser an einem Bergweg vortäuscht, indem er die Vorübergehenden auf Abwege lockt und die Hinabgestürzten dann verschlingt, um sich zu stärken – wenn er, sage ich, so handelt, dann nur, weil der Ordnungsdienst im Reservat sich nicht um die Wegweiser kümmert, von denen die Farbe abblättert, wodurch sie morsch werden und jenem Tier gleichen. Jedes andere Wesen täte an seiner Stelle das gleiche.
      Die berüchtigten Fata Morganen Stredogentiens verdanken ihre Existenz ausschließlich den niedrigen Neigungen der Menschen. Früher wuchsen auf diesem Planeten zahlreiche Kälter, Wärmer gab es dagegen fast gar nicht. In der letzten Zeit haben sich diese letzteren unerhört vermehrt. Über ihren Büschen erzeugt die auf kunstvolle Weise erwärmte Luft, indem sie sich wiegt, Spiegelungen von Nachtlokalen, die schon so manchen Ankömmling von der Erde ins Verderben gestürzt haben. Es wird erzählt, die
Wärmer seien an allem schuld.
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