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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher
Autoren: Stanislaw Lem
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Verfasser des Artikels nicht, daß diese Tiere völlig unschuldig sind und daß man statt ihrer diejenigen anklagen sollte, die für den Mangel an entsprechenden sanitären Einrichtungen verantwortlich sind?

      Auf ebendiesem Mersiturien hat der Mangel an kommunalen Bequemlichkeiten eine ganze Serie genetischer Mutationen bei den Insekten hervorgerufen.
      An Orten, die durch ihre landschaftliche Schönheit bekannt sind, kann man bisweilen bequeme, aus Weidenruten geflochtene Sessel sehen, die den ermüdeten Fußgänger zur Rast einzuladen scheinen. Wenn sich jemand nun zufrieden zwischen den lockenden Lehnen niederläßt, überfallen ihn diese, und das angebliche Möbelstück erweist sich als eine Sammlung Tausender fleckiger Ameisen (stuhlartige Quälameise, multipodium pseudostellatum Trylopii), die sich entsprechend überein andergereiht haben und einen geflochtenen Stuhl vortäuschen. Mir ist zu Ohren gekommen, daß andere Arten von Gliederfüßlern (wimprige Ohnekrieche, unsauerer Naßreiber und Stockinaug Brutälchen) unter anderem Kioske mit Sodawasser, Hängematten und sogar Brausebäder mit Wasserhähnen und Handtüchern vortäuschen, aber für die Richtigkeit dieser Behaup tungen kann ich mich nicht verbürgen, denn ich habe nichts dergleichen gesehen, und die myrmekologischen Autoritäten schweigen sich in dieser Sache aus. Dagegen lohnt es sich, vor der ziemlich seltenen Variante des teleskopartigen Schlangenbeiners (anen cephalus pseudoopticus tripedius Klaczkinesis) zu warnen. Dieses teleskopartige Wesen postiert sich ebenfalls an Stellen mit schönen Aussichten, indem es seine drei dünnen und langen Beine in der Form eines Dreifußes aufstellt und mit dem erweiterten Tubus des Schwanzes in die Landschaft zielt; mit dem Speichel indes, der seine Mundöffnung ausfüllt, ahmt es eine Fernrohrlinse nach und verleitet auf diese Weise zum Hineinschauen, was für den Unvorsichtigen überaus unangenehm enden kann. Eine andere Schlange, jedoch auf dem Planeten Gaurimachien, der Kipper Vorhalter (serpens vitiosus Reichenmantlii), lauert im Gebüsch und hält dem unvorsichtigen Fußgänger den Schwanz hin, damit er darüber stolpert und hinfällt, aber – erstens lebt diese Schlange ausschließlich von Blonden, und zweitens täuscht sie nichts und niemanden vor.

      Der Kosmos ist kein Kindergarten und die biologische Evolution keine Idylle. Man sollte Broschüren herausgeben, ähnlich denen, wie ich sie auf Derdymon gesehen habe, in denen die Botanikeramateure vor der Grausamen Wunderblume (pliximiglaquia bom bardans L.) gewarnt werden. Sie prangt in prächtigen Blüten, man muß sich aber der Lust, sie zu pflücken, enthalten, denn sie lebt in einer engen Symbiose mit der Steinigen Zermalmerin, einem Baum, der Früchte von den Ausmaßen eines Kürbisses trägt, die obendrein gehörnt sind. Es genügt, eine Blüte zu pflücken, und schon prasselt auf den Kopf des unvorsichtigen Pflanzensammlers ein Hagel steinharter Geschosse nieder. Weder die Wunderblume noch die Steinige Zermalmerin tun dann dem Erschlagenen etwas Böses an, sie begnügen sich mit den natürlichen Folgen seines Todes, das heißt mit der Düngung des Bodens in ihrer Nähe.

    Die Wunder der Mimikri trifft man übrigens auf allen Planeten des Reservats an. So irisieren zum Beispiel die Savannen Beluriens von den buntesten Blumen, unter denen eine tiefrote Rose von wunderbarer Schönheit und herrlichem Geruch auffällt (rosa men datrix Tichiana – wie Professor Pingle sie zu benennen beliebte, denn ich habe sie als erster beschrieben). Die angebliche Blume ist im Grunde ein Gewächs auf dem Schwanz des Angelfängers, eines belurischen Raubtieres. Der ausgehungerte Angelfänger versteckt sich im Dickicht, nachdem er seinen langen Schwanz weit nach vorn ausgerollt hat, so daß nur die Blume aus dem Gras hervorlugt. Nichtsahnend nähert sich dieser Blume ein Tourist, um daran zu riechen, und schon springt ihn das Ungeheuer von hinten an. Es hat Hauer wie ein Elefant. Daraus ist zu ersehen, wie wundersam sich die kosmische Variante der Redewendung bewahrheitet, daß es keine Rose ohne Dornen gibt!
      Obgleich ich eigentlich etwas vom Thema abschweife, kann ich mich nicht enthalten, noch ein weiteres belurisches Wunder zu erwähnen, sozusagen eine entfernte Verwandte der Kartoffel – die Vernünftige Bitternishafte (gentiana sapiens suicidalis Pruck). Ihre Knollen sind süß und sehr schmackhaft, der Name bezieht sich auf gewisse
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