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Noware (German Edition)

Noware (German Edition)

Titel: Noware (German Edition)
Autoren: Uwe Post
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NOWARE
    Tumm
... tumm ... tumm ... tumm ...
    Trommelschläge treiben die
Transportgaleere den Rhein hinauf. Meine Hände bluten, sind
aufgescheuert; meine Muskeln zittern.
    Neben mir zieht Carl am Riemen.
Carl ist Schwede, und er stinkt. Um seinen Hals hängt eine Schnur,
an dem ein Handy baumelt, das längst nicht mehr funktioniert. Ein
Artefakt. Eine Erinnerung an eine andere Welt. Eine Welt, die nur im
Präteritum existiert.
    Ich stinke übrigens auch. Die
ganze Galeere stinkt. Es gibt kein Deo mehr.
    Okay, vielleicht gibt es
irgendwo noch welches. Aber Deo ist nicht wichtig. Nicht so wichtig
wie Essen.
    Lieber stinken als sterben.
    Tumm ... tumm ... tumm ...
tum ... tum tum tum tum tum ...
    Der Trommler beschleunigt
stark.
    » Fuck «, schreit mein
Hintermann. Carl guckt bloß blöd.
    »Komm hier runter und ruder
selbst«, rufe ich. Ein paar Jungs pfeifen. Einfach so die Schlagzahl
erhöhen? Was soll der Scheiß?
    Wir kommen aus dem Takt. Die
Galeere schaukelt, oben schreit jemand irgendwas. Vor mir späht
Zoltan durch ein winziges Guckloch nach draußen. Er prallt zurück,
kreischt: »Rudert, scheiße!« Seine Stimme überschlägt sich.
Zoltan reißt an seinem Riemen, rutscht ab, jault.
    »Fick dich«, zischt jemand,
wirft einen Plastikbecher, der klappernd irgendwo landet. Dann schaue
ich durch mein eigenes Guckloch. Ich sehe ein anderes Schiff. Eins
mit Schraube. Aus Stahl.
    Es hält auf uns zu.
    »Rudert, ihr Arschlöcher!«,
schreie ich. »Die wollen uns rammen!«
    Statt zu arbeiten, versuchen
alle, einen Blick nach draußen zu werfen. Die Schreie werden lauter.
Mein Riemen fliegt mir aus der Hand, ein anderer ist draußen dagegen
geknallt. Wir werden langsamer. Sind ein leichtes Opfer. Carl springt
auf, stößt jemanden weg, verliert das Gleichgewicht, fällt
zwischen zwei Bänke. Die Jungs da hauen ihm die Fäuste ins Genick.
    Ich höre den Motor der
anderen.
    Ein Geräusch, das an die
Vergangenheit erinnert. Ein Fremdkörper, ein Geschwür, das fast
abgeheilt ist. Aber noch wehrt es sich.
    Die Zivilisation will nicht
wahrhaben, dass ihre Zeit vorbei ist.
    Ein paar Jungs springen auf,
stolpern, klettern übereinander. Schreie, Flüche, Schläge. Gewalt
ist eine schnelle Lösung, die kein Nachdenken erfordert. Wer den
anderen totschlägt, überlebt. Vorerst.
    Ich sehe hinaus. Das andere
Schiff trifft uns am Heck. Gleich. Ich klammere mich an meine
Sitzbank. Jetzt.
    Ein Ruck, ein Knall. Dann das
Inferno. Kreischendes Holz mischt sich mit Schmerzensschreien.
Splitter fliegen, irgendwas trifft mich am Oberarm. Die Galeere neigt
sich zur Seite. Der kühle Geruch von Wasser.
    Ich ziehe mich hoch, balanciere
über den schmalen Steg, vorbei an Schreienden, Kämpfenden,
Verletzten. Ich sehe keinem von ihnen in die Augen, haste vorwärts,
weiche aus, nur vorwärts, ziehe mich an Deck. Es neigt sich, ich
suche Halt, finde keinen ... etwas trifft mich, ich rutsche ...
    Dann das Wasser. Kälte zieht
mich nach unten, will mich verschlingen, aber ich schwimme ins Licht.
Ein paar kräftige Züge, dann lasse ich mich treiben. Nur ein kurzer
Blick zurück: Trümmer der Galeere, ein paar Körper und das Heck
des anderen Schiffes, auf dem jemand steht und winkt. »Anette«, so
steht's auf dem Frachter, verschwindet stromabwärts, während ich
mit ein paar anderen Jungs irgendein Ufer erreiche. Wir klettern über
Steine, hocken im Gestrüpp, zittern, husten, bluten, kotzen.
    »Warum machen die das?«,
keucht jemand.
    Die Jungs sind zu sehr mit
Überleben beschäftigt, um die Frage zu beachten. »Warum nur!?«
    Ich kenne die Antwort.

    *
    »Nur
so zum Spaß«, sagte Jo und sah aus dem Fenster. Ich starrte ihn
eine Weile lang an. Mein Sohn hatte sich von der Rolle des
Klassenclowns emanzipiert, indem er den Toyota seines Sportlehrers
angezündet hatte. Seine Antwort auf meine Frage »Warum?«
schockierte mich. Nur so zum Spaß. Das hatte nichts mit
Kommunikationsschwierigkeiten zwischen unterschiedlichen Generationen
zu tun. Auch seine Mutter, die vermutlich gerade in diesem Moment im
Entziehungsheim einen der Pfleger flachlegte, war nicht schuld. Aber
genau das sagte ich trotzdem.
    »Lol«, machte Jo. Er ließ
seinen Blick über den Frühstückstisch schweifen, verharrte kurz
bei der Müslipackung und entschied sich dann für die Milchtüte.
Mit einer lässigen Handbewegung warf er sie vom Tisch.
    Ich sprang, fing die Packung
irgendwie auf, konnte aber nicht verhindern, dass ein großer Teil
des Inhalts den Boden weiß
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