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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher
Autoren: Stanislaw Lem
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schließlich haben Sie keinen Beweis.«
      »In gewissem Sinne doch!« unterbrach er mich lebhaft. »Sehen Sie: Auf den Bändern ist auch die Zeit registriert. Es besteht eine deutliche Korrelation. Wenn der eine sendet, schweigt der andere, und umgekehrt. Zwar haben in der letzten Zeit die Verzögerungen bedeutend zugenommen, aber die Wechselseitigkeit unterliegt keiner Veränderung. Begreifen Sie, was ich geleistet habe? Pläne, Absichten, ob gut oder böse, die Gedanken eines schweigenden Menschen, der nicht sprechen will – all das können Sie erkennen, seinem Gesichtsausdruck entnehmen, aus seinem Verhalten schließen. Aber meine Schöpfungen haben ja kein Gesicht, keinen Körper – genau das, was sie vorher gefordert hatten –, und jetzt stehe ich machtlos da, ohne jede Chance, etwas zu verstehen. Soll ich sie vernichten? Das wäre vielleicht eine Niederlage! Sie wollen keinen Kontakt mit dem Menschen – oder ist er so unmöglich wie zwischen einer Amöbe und einer Schildkröte? Ich weiß es nicht. Nichts weiß ich!«
      Er stand vor dem leuchtenden Zylinder, die Hand auf seinem Deckel, und ich begriff, daß er gar nicht mehr zu mir sprach, vielleicht hatte er meine Anwesenheit sogar gänzlich vergessen. Aber auch ich lauschte gar nicht mehr seinen letzten Worten, denn meine Aufmerksamkeit wurde von etwas Unbegreiflichem abgelenkt. Während er immer hastiger redete, hob er schon mehrmals die Rechte und legte sie auf die kupferne Fläche; etwas an seiner Hand kam mir verdächtig vor. Die Bewegung war nicht ganz natürlich. Die Finger, die sich dem Metall näherten, zitterten den Bruchteil einer Sekunde, dieses Zittern war äußerst schnell, dem üblichen nervösen Vibrieren gar nicht ähnlich; übrigens hatte er, als er vorher gestikulierte, sichere Bewegungen gehabt, entschiedene, ohne eine Spur dieses Zitterns. Ich sah mir seine Hand aufmerksamer an und stammelte, erschüttert durch ein Gefühl unbeschreiblicher Verblüffung und beseelt von der letzten Hoffnung, daß ich mich dennoch täuschte: »Diagoras, was ist mit Ihrer Hand…?« Er sah mich verdutzt an, weil ich seinen Gedankengang unterbrach.
      »Mit dieser!« Ich zeigte sie ihm. Er näherte die Hand der blitzenden Oberfläche, sie erzitterte, mit halbgeöffnetem Mund hob er sie an die Augen. Das Zittern der Finger hörte sofort auf. Noch einmal blickte er auf die eigene Hand, dann auf mich und näherte sich sehr vorsichtig, Millimeter um Millimeter, dem Metall; als die Fingerkuppen es berührten, erfaßte ein mikroskopischer Krampf seine Muskeln, sie erzitterten mit einem kaum sichtbaren Beben, das sich allen Fingern mitteilte, und er stand und schaute zu mit einem unbeschreiblichen Gesichtsausdruck. Dann ballte er die Faust, stützte sie auf die Hüfte und näherte nur den Ellenbogen der kupfernen Fläche, und die Haut des Unterarms erbebte dort, wo er mit dem Zylinder in Berührung kam. Er wich einen Schritt zurück, hob die Hände an die Augen und betrachtete sie abwechselnd, bis er flüsterte: »Also bin ich…? Ich selbst… also wurde durch mich – ich war das Versuchsobjekt…«
      Mir schien, als wolle er in ein krampfhaftes Lachen ausbrechen, aber plötzlich drückte er die Hände in die Schürzentaschen, schritt schweigend durchs Zimmer und sagte mit veränderter Stimme: »Ich weiß nicht, ob das… aber lassen wir es. Es ist besser, Sie gehen jetzt. Ich habe Ihnen nichts weiter zu zeigen, und übrigens…«
      Er brach ab, trat ans Fenster, riß mit einem Ruck das verhüllende schwarze Papier ab, öffnete weit die Fensterläden und atmete tief ein, während er in die Dunkelheit schaute.
      »Warum gehen Sie nicht?« brummte er, ohne sich umzuwenden. »So wird es am besten sein…«
      Ich wollte ihn so nicht verlassen. Die Szene, die mir später in der Erinnerung grotesk vorkam, erfüllte mich damals angesichts des kupfernen Bottichs mit den schlammigen Innereien, die seinen Körper in einen willenlosen Sendboten unverständlicher Signale verwandelt hatten, mit Grauen und zugleich mit Mitleid für diesen Menschen. Am liebsten würde ich deshalb damit meinen Bericht beenden. Was nämlich dann folgte, war zu sinnlos: Sein Aufbrau sen, als hätte ich mir eine aufdringliche Grobheit erlaubt, sein wutzitterndes Gesicht, die Beschimpfungen, sein rasendes Geschrei – all das, begleitet von dem fügsamen Schweigen, mit dem ich ging, war ein Alpdruck voller Falschheit, und ich weiß bis zum heutigen Tage nicht, ob er mich
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