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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher
Autoren: Stanislaw Lem
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sprechen…«
      »Unsere Sprache entstand im Gefolge der gesellschaftlichen Evolution, sie übermittelt Informationen über analoge oder zumindest ähnliche Zustände, denn wir ähneln einander. Da unsere Hirne sich sehr gleichen, vermuten Sie, wenn ich lache, daß ich das gleiche empfinde wie Sie, wenn Sie bei guter Laune sind. Aber von ihnen werden Sie das nicht sagen. Angenehme Empfindungen? Gefühle? Angst? Was geschieht mit der Bedeutung dieser Worte, wenn sie aus dem Innern eines blutgenährten Menschenhirns in den Bereich toter elektrischer Wicklungen gelangen? Und wenn es sogar diese Wicklungen nicht gibt, wenn die konstruktive Ähnlich keit völlig verwischt sein wird – was dann? Falls Sie es wissen wollen: Das Experiment ist bereits durchgeführt…«
      Er öffnete die Tür, vor der wir solange gestanden hatten: Ein großer Raum mit weiß lackierten Wänden, der von vier schattenlosen Lampen erleuchtet wurde. Es war stickig und warm wie in einem Inkubator: In der Mitte erhob sich aus Porzellankacheln ein ungefähr ein Meter breiter Metallzylinder, zu dem von verschiedenen Seiten dünne Rohrleitungen führten. Er erinnerte an einen Fermentationsbottich oder einen Flüssigkeitsbehälter, hatte einen großen gewölbten Deckel, der von einem Schraubenrad hermetisch angedrückt wurde. In seinen Wänden waren kleinere Klappen zu sehen, die rund und dicht abgeschlossen waren. In dem Raum war es warm und dunstig wie in einem Treibhaus. Der Zylinder – das bemerkte ich jetzt – stand nicht auf dem Fußboden, sondern auf einem Postament aus Korkplatten, zwischen denen sich irgendwelche schwammartige Matten befanden.
      Diagoras öffnete eine der Seitenklappen und zeigte sie mir; ich beugte mich vor und warf einen Blick hinein. Was ich sah, spottete jeglicher Beschreibung: Hinter einer runden, dickwandigen Scheibe breitete sich eine schlammige Konstruktion aus, dick gestengelt, dann wieder in dünnste Spinnenbrücken und Gehänge verzweigt; das Ganze war völlig reglos und hielt sich auf eine rätselhafte Weise in der Schwebe, denn nach der Konsistenz dieses Breis oder dieser Schmiere zu urteilen, hätte sie auf den Grund des Behälters abfließen müssen. Ich verspürte durch die Scheibe einen leichten Druck auf dem Gesicht wie von einer starren, lastenden Hitze und sogar – obwohl das vielleicht nur Selbsttäuschung war – den sanften Hauch eines süßlichen Geruchs mit dem Geschmack von Fäulnis. Das schlammige Pilzgeflecht schimmerte, als ob irgendwo darin oder darüber Licht brannte, und seine dünnsten Fäden glänzten silbrig. Ich bemerkte plötzlich eine feine Bewegung; eine schmutziggraue Gabelung hob sich, verflachte leicht und glitt, während sie tropfenförmig angeschwollene Schößlinge aus sich herausschob, durch die Maschen der anderen in meine Richtung; ich hatte den Eindruck, irgendwelche glitschige, eklige Innereien vor mir zu haben, bewegt von einer schwankenden Peristaltik, die sich der Scheibe näherten, so daß sie sie berührten und, sich an dem Glas gegenüber meinem Gesicht festhaltend, ein paar kriechende, sehr schwache Erschütterungen vollführten, bis alles erstarb. Ich konnte mich jedoch des heftigen Gefühls nicht erwehren, als starre mich dieses Gelee an. Es war ein derart unangenehmes Gefühl und machte einen so hilflos, daß ich es nicht einmal wagte, zurückzuweichen – als schämte ich mich. In diesem Augenblick vergaß ich Diagoras, der mich von der Seite ansah, vergaß ich alles, was ich bisher erfahren hatte; mit wachsender Verblüffung und weit aufgerissenen Augen starrte ich diesen pilzartigen schimmelnden Schlamm an, erfaßt von der übermächtigen Gewißheit, daß ich nicht nur eine lebende Substanz vor mir hatte, sondern geradezu ein Wesen; ich kann nicht sagen, warum das so war.
      Ich weiß auch nicht, wie lange ich noch so dagestanden und geschaut hätte, wäre nicht Diagoras gewesen, der mich sanft am Arm packte, die Klappe schloß und das Schraubenschloß fest andrehte.
      »Was war das…?« fragte ich mit einem Gefühl, als habe er mich geweckt. Erst jetzt erfolgte die Reaktion in Form von Übelkeit und Verwirrung, mit der ich auf den beleibten Doktor, dann wieder auf jenen kupfernen, Wärme ausstrahlenden Behälter blickte.
      »Ein Fungoid«, erwiderte Diagoras. »Der Traum aller Kybernetiker – eine sich selbst organisierende Substanz. Ich mußte auf die traditionellen Baustoffe verzichten… der hier erwies sich als besser. Das ist ein
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