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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher
Autoren: Stanislaw Lem
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Polymer…«
      »Lebt das?«
      »Was soll ich Ihnen antworten? Auf jeden Fall gibt es da weder Eiweiß noch Zellen und auch keinen Stoffwechsel. Ich bin dazu erst nach einer gewaltigen Anzahl von Versuchen gelangt. Ich habe – ich sage das alles als knappes Resümee – eine chemische Evolution in Gang gesetzt. Die Selektion, die Auswahl einer solchen Substanz, die auf jeden Außenreiz durch eine bestimmte innere Veränderung reagiert, und zwar durch eine solche, die seine Wirkung nicht nur neutralisiert, sondern sich von ihr befreit. Zunächst also Wärmestöße und magnetische Felder, Bestrahlung. Aber das war erst die Einleitung. Ich gab ihm nacheinander immer schwierigere Aufgaben; zum Beispiel verwandte ich bestimmte Konfigurationen elektrischer Schläge, von denen er sich nur dann befreien konnte, wenn er als Antwort einen spezifischen Stromrhythmus produzierte… Auf diese Weise lehrte ich ihn gewisse bedingte Reflexe. Aber auch das war eine Anfangsphase. Sehr rasch begann er sich zu universalisieren; er löste immer schwerere Aufgaben.«
      »Ich begreife nicht, wie das möglich sein kann, wenn er keine Sinne besitzt«, sagte ich.
      »Wenn Sie es wissen wollen – ich begreife das selbst nicht genau. Ich kann Ihnen lediglich das Prinzip darstellen. Wenn Sie auf einer kybernetischen ›Schildkröte‹ eine Rechenmaschine anbringen und sie auf einen großen Saal loslassen, nachdem Sie sie mit einer Einrichtung ausgerüstet haben, die die Qualität ihres Handelns kontrolliert, gewinnen Sie ein System, das keine ›Sinne‹ hat und dennoch auf alle Änderungen der Umgebung reagiert. Wenn an einer Stelle ein Magnetfeld vorhanden ist, das negativ auf die Gesamtheit des Handelns der Maschine wirkt, wird sie sich sofort entfernen und einen anderen, besseren Platz suchen, wo diese Störungen nicht auftreten. Der Konstrukteur muß nicht einmal alle möglichen Störungen voraussehen, es können mechanische Erschütterungen und Wärme sein, starke Laute, das Vorhandensein elektrischer Ladungen – einerlei was, die Maschine nimmt nichts davon wahr, denn sie hat keine Sinne, sie spürt also die Wärme nicht und sieht nicht das Licht, und dennoch reagiert sie so, als sähe und fühlte sie. Nun, das ist ein elementares Modell. Dieser Fungoid«, er legte die Hand auf den kupfernen Zylinder, auf dessen Oberfläche sich seine Gestalt wie in einem grotesken Zerrspiegel abzeichnete, »kann das und tausendmal mehr… Die Konzeption war die folgende: ein flüssiger Kern, in dem sich ›konstruktive Elemente‹ befinden, und das ursprüngliche System konnte daraus bauen, es schöpfte aus jenem Übermaß, wie es wollte, bis dieses Pilzgeflecht entstanden ist, das Sie gesehen haben…«
      »Aber was ist das eigentlich? Etwa ein… ein Hirn?«
      »Das kann ich Ihnen nicht sagen, wir besitzen dafür keine Worte. Nach unseren Begriffen ist das kein Hirn, denn es gehört weder einem Lebewesen, noch wurde es konstruiert, um bestimmte Aufgaben zu lösen. Dagegen können Sie sicher sein, daß dieses Gebilde… denkt, wenn auch nicht so wie ein Tier oder wie der Mensch.«
      »Woher wollen Sie das wissen?«
      »Ach, das ist eine lange Geschichte«, sagte er. »Bitte, wenn Sie gestatten…«
      Er öffnete eine blechbeschlagene und sehr dicke Tür, fast wie die eines Banktresors; von der anderen Seite war sie mit Korkplatten und Platten aus derselben schwammigen Masse versehen, auf der der kupferne Zylinder stand. In dem nächsten, kleineren Zimmer brannte auch Licht, das Fenster war dicht mit schwarzem Papier verhangen, und auf dem Fußboden stand weitab von den Wänden der gleiche Bottich und leuchtete mit rotem kupfernem Schimmer.
      »Sie haben zwei…?« fragte ich verblüfft. »Aber warum?«
      »Das war die zweite Variante«, erwiderte er und schloß die Tür. Mir fiel auf, mit welcher Sorgfalt er das tat.
      »Ich wußte nicht, welcher von beiden sich besser aufführen würde, weil hier wesentliche Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung im Spiel sind und so weiter… Ich hatte übrigens noch mehr davon, aber die anderen taugten nichts. Nur diese beiden haben alle Stadien der Auswahl überstanden. Sie entwickelten sich sehr schön«, fuhr er fort, während er die Hand auf die konvexe Klappe des zweiten Zylinders legte, »aber ich wußte nicht, ob das irgend etwas zu bedeuten hatte; sie gewannen eine erhebliche Unabhängigkeit von den Veränderungen der Umgebung, sie vermochten – beide – rasch
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