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Der Tag der Rache. Private Berlin

Der Tag der Rache. Private Berlin

Titel: Der Tag der Rache. Private Berlin
Autoren: James Patterson , Mark Sullivan
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EINS
    Um zehn Uhr an einem mondlosen Septemberabend schlich Chris Schneider, Ende dreißig und dunkel gekleidet, auf ein langes, verlassenes Gebäude am östlichen Stadtrand von Berlin zu. In seinem Kopf tanzten düstere Bilder und alte Versprechen.
    Schneider zog eine Glock Kaliber .40, während er auf das trockene Rascheln der Dornenbüsche, Goldruten und Weinranken lauschte, die hier überall wucherten. Er zögerte, blickte auf die Silhouette des Gebäudes. Und erinnerte sich an den Schrecken, den er hier erlebt hatte. Er wurde sich bewusst, dass genau dies der Moment war, auf den er drei Jahrzehnte gewartet hatte.
    Die ersten zehn Jahre hatte er seinen Geist und Körper trainiert. Weitere zehn Jahre danach hatte er vergeblich auf die Gelegenheit gewartet, Rache zu üben. Während der letzten zehn Jahre war er zu der traurigen Überzeugung gelangt, dass diese Gelegenheit niemals kommen würde, dass seine Vergangenheit nicht nur verschwunden, sondern gestorben war. Und mit ihr die Chance auf eine Wiedergutmachung für sich und die anderen.
    Doch jetzt hatte er sie, seine Chance als Racheengel, an den sie alle glaubten.
    Schneider hörte schrille Stimmen in seinem Kopf, die ihm zuriefen, er solle weitergehen und ihrer Geschichte zu einem gerechten Ende verhelfen. Er spürte, wie er innerlich härter wurde, stärker. Ihre Geschichte verdiente ein gerechtes Ende. Dafür wollte er sorgen.
    Mittlerweile hatte er die Außentreppe erreicht. Die Kette vor dem angelehnten Scheunentor hing herab. Beim Blick in die Dunkelheit bekam er ein flaues Gefühl im Magen, und seine Knie wurden weich.
    Du hast ein Leben lang darauf gewartet, sagte sich Schneider. Bring es zu Ende. Jetzt.
    Für uns alle.
    Schneider stieß die Tür mit der Schuhspitze auf, trat ein, roch Urin, verbranntes Kupfer und etwas Totes.
    In seinem Kopf blitzte das Bild einer ins Schloss fallenden Tür auf, ein Bild, das ihn einen Augenblick völlig zu lähmen drohte. Doch dann spürte er, wie ihn die Forderung nach Gerechtigkeit vorwärtsdrängte. Er entsicherte seine Waffe und schaltete die am Lauf mit Klebeband befestigte Taschenlampe ein, deren sanfter roter Strahl den Bereich vor ihm ausleuchtete.
    Stiefelabdrücke markierten die glatte Stauboberfläche. Er folgte ihnen mit pochendem Herzen. Betonzellen, die eher nach Ställen aussahen, lagen rechts und links des Gangs. Obwohl die Fußabdrücke geradeaus führten, kontrollierte er jeden Raum einzeln. Im letzten blieb er stehen. Ein Horrorfilm lief in seinem Kopf ab.
    Als er sich wieder aufs Hier und Jetzt konzentrierte, merkte er, dass seine Hand, in der er die Waffe hielt, zitterte.
    Der Gang endete vor einem weiteren Scheunentor. Das Vorhängeschloss war mit geöffnetem Bügel eingehängt, die Tür stand einen Spaltbreit offen und führte in einen höhlenartigen Raum.
    Er richtete die Waffe und die Taschenlampe hinauf zu den Dachsparren, wo aufgeschreckte Tauben umherflatterten.
    Der Geruch nach etwas Totem war hier noch stärker. Schneider schwenkte den Lichtstrahl über den Boden. Große verrostete Schrauben ragten dort heraus. Oben wurde ein Gestell von Balken und Trägern gehalten, das sich durch den gesamten Raum erstreckte. Von dem Gestell hingen verrostete Haken herab.
    Die Fußabdrücke führten von der Tür schräg links durch den Raum. Auf die Schrauben im Boden achtend, um nicht zu stolpern, folgte er ihnen. Er wollte noch einmal zu den Balken hinaufsehen, wurde aber von etwas abgelenkt, das vor ihm davonhuschte. Er ging in die Hocke und zielte mit der Waffe und der Lampe in Richtung des Geräuschs.
    Eine Schar Ratten floh auf ein im Boden klaffendes Loch am anderen Ende des Raums zu. Auch die Fußabdrücke führten direkt auf das Loch zu und verschwanden dort. Das Fiepen und Zischen der Ratten wurde lauter, je näher er kam.
    Links vom Loch stand ein Metallrohr mit einem nur geringfügig kleineren Durchmesser als dem des Lochs. Darauf lag ein Gitter. Rechts daneben stand ein kleiner Gasbrenner, mit dem Unkraut von Bürgersteigen beseitigt wurde.
    Schneider trat an das Loch und leuchtete in einen verrosteten Stahlschacht hinunter. Drei Meter weiter unten endete der Schacht, einen guten weiteren Meter tiefer war der Boden mit Kies ausgestreut.
    Und auf dem Kies lag eine Frau. Ratten huschten über sie hinweg.
    Schneider wusste, wer sie war.
    Er hatte sie in Berlin und in ganz Deutschland gesucht und entgegen aller Wahrscheinlichkeit gehofft, dass sie noch lebte.
    Doch er war viel, viel zu spät
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