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Das Kriegsbuch

Das Kriegsbuch

Titel: Das Kriegsbuch
Autoren: James Sallis (Hrsg)
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DER PREIS
 
von A. J. Budrys
     
    Es waren drei Männer; der erste war dick, der zweite dünn und der dritte sehr alt. Sie saßen hinter einem langen Tisch, vor sich Papier und Bleistift, und schoben sich gegenseitig Notizzettel zu, während sie ihn verhörten. Dabei sprach hauptsächlich der sehr alte Mann, in dessen Stimme die Vorahnung des Todes schwang.
    »Sie heißen?«
    Der in einen grauen Umhang gekleidete häßliche Bucklige, der auf einem unbequemen Holzstuhl saß, starrte sie finster an. »Ich heiße nicht«, knurrte er. Sei ne sehnigen Finger wölbten sich über den Knien. Sein festes Kinn sprang schon in der Ruhestellung stark hervor, doch jetzt bewirkten die verkrampften Muskeln unter seinen Ohren und der vorgestreckte dicke Hals, daß seine untere Zahnreihe entblößt wurde.
    »Sie müssen doch einen Namen haben.«
    »Ich muß gar nichts. Geben Sie mir eine Zigarette.«
    Der dicke Mann flüsterte sanft:
    »Wir geben Ihnen eine Zigarette, wenn Sie uns sa gen, wie Sie heißen.«
    »Rumpelstilzchen«, zischte der Bucklige. Er streck te die Hand aus. »Zigarette.«
    Der dünne Mann schob ein silbernes Etui über den Tisch. Der Bucklige griff hastig danach, nahm eine Zigarette heraus, biß den Filter ab, spuckte ihn mit heftiger Kopfbewegung auf den Boden und steckte das Etui in den Ausschnitt seines Umhangs. Dann fixierte er den dünnen Mann. »Streichholz.«
    Der dünne Mann fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, suchte in der Tasche und brachte ein silbernes Feuerzeug zum Vorschein, das zum Etui paßte. Da leg te der alte Mann seine Hand über die des dünnen Mannes.
    »Ich führe hier das Gespräch«, sagte er zu dem Buckligen. »Ich bin der Präsident.«
    »Das sind Sie schon viel zu lange. Das Streichholz.«
    Resigniert gab der Präsident die Hand des dünnen Mannes frei, und das Feuerzeug wurde über den Tisch geschoben. Der Bucklige hielt die Flamme an das zerfranste Ende der Zigarette. Dann ließ er das Feuerzeug zurückgleiten, wobei er freudlos lächelte. Der dünne Mann betrachtete es, ohne es aufzunehmen.
    »Ich bin nicht so alt wie Sie«, sagte der Präsident. »Niemand ist das.«
    »Was Sie nicht sagen.«
    »Es steht in den Akten. Sie wurden 1882 in Minskva Guvbernya aufgefunden und vor den Zar gebracht. Sie haben ihm auch nicht mehr gesagt, als Sie uns sagen werden, und wurden in eine dunkle, ungeheizte Zelle gesperrt, in der Sie bleiben sollten, bis Sie den Mund aufmachten. 1918 holte man Sie heraus, verhörte Sie und behandelte Sie ähnlich – aus dem gleichen Grund. 1941 wurden Sie zu Forschungszwecken einem Team von Wissenschaftlern überlassen. 1956 lieferte man Sie in das Arbeitslager von Workuta ein. 1963 wurden Sie wieder zum Studienobjekt, diesmal in Berlin. Aus den gesammelten Unterlagen geht hervor, daß Sie aus Ihren Prüfern mehr herausbekommen haben als diese aus Ihnen, die genau genommen überhaupt nichts erfuhren.«
    Wieder grinste der Bucklige. »A gleich Pi mal r Quadrat. Judex ergo cum sedebit, quidquid latet apparebit , nil inuitum remanebit.«
    »Seien Sie nicht so selbstgefällig«, flüsterte der dicke Mann.
    Der Präsident fuhr fort: »1967 wurden Sie nach Genf gebracht und fanden 1970 bei den Benediktinermönchen in Bern Obdach. Dort blieben Sie fast den ganzen Siebziger-Krieg hindurch. Und jetzt sind Sie hier, seit acht Monaten, und können sich bestimmt nicht über schlechte Behandlung beklagen.«
    Der Bucklige drückte seine Zigarette auf der polierten Mahagoni-Platte aus.
    »Wir brauchen Sie«, sagte der dünne Mann. »Sie müssen uns helfen.«
    »Ich muß gar nichts.« Er zog das Etui aus dem Aus schnitt seiner Tunika, nahm eine neue Zigarette, spuck te das Ende aus und hielt das Etui in der Hand. »Feuer.«
    Der dünne Mann ließ das Feuerzeug über den Tisch gleiten. Der Bucklige zündete sich die Zigarette an und gab das Feuerzeug zurück. Dann drückte er die Zigarette aus und nahm eine neue.
    »Feuer.« Der dünne Mann stieß das Feuerzeug über den Tisch, und der Bucklige kicherte triumphierend.
    Schwere Vorhänge verhüllten die Fenster hinter dem Präsidenten, der jetzt eine abrupte Handbewegung machte. Der dünne Mann zog die Gardinen auf.
    »Schauen Sie«, sagte der Präsident. Flackernde Brände und aufsteigende Rauchfahnen warfen Licht und Schatten durch das Fenster in den Raum. »So sieht es überall aus. Wir können es nicht löschen, aber wenn wir wüßten, wie Sie es in Europa überstanden haben …«
    Der Bucklige grinste hinterhältig und
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