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Das Kriegsbuch

Das Kriegsbuch

Titel: Das Kriegsbuch
Autoren: James Sallis (Hrsg)
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kümmerte mich nicht darum, obwohl mehrere Gestalten auf mich zukamen. Vielmehr machte ich mich an die traurige Aufgabe, den alten Joe abzuladen. Ich hätte gern das Totenoffizium über ihn gesprochen. Aber ich kannte seinen Nachnamen, seine Titel und seinen Heimatplaneten nicht und konnte somit nicht der Form Genüge tun. (Die Erde nehme ihn in Ihren Schutz.) Ich beugte jedoch ein oder zwei Sekunden den Kopf.
    »Sie haben die Seuche überlebt?« Die Stimme dröhnte mir aus allernächster Nähe laut und klar in den Helm. Ich wandte mich um. In den letzten beiden Wochen glaubte ich alle verbliebenen Einwohner der Stadt kennengelernt zu haben, doch dieser Mann war mir fremd. Ich sah mir seinen Anzug näher an, der ein fremdartiges blaues Karomuster aufwies, und ich bemerkte, daß über dem Globus und Halbmond seines Brustabzeichens eine kleine Krone schwebte. Das bedeutete, daß er im Dienst des Königs stand. Ich wandte einen Moment den Blick von ihm und merkte erst jetzt, daß sich unmittelbar hinter dem Schiff der Stadt ein zweites Raumfahrzeug erhob – so dicht, daß es dem unvorbereiteten Auge wie eine Lichtspiegelung erscheinen mußte. Bei genauerem Hinsehen stellte ich fest, daß von den Gestalten, die sich zwischen der Stadt, den Schiffen und den Toten bewegten, viele in Blau gekleidet waren. Anscheinend hatten wir Besuch.
    »Ja«, antwortete ich schließlich auf die Frage.
    »Haben Sie Raumerfahrung?« lautete die nächste Frage, die mir ein wenig inkonsequent vorkam.
    »Ich war Astrogator-Videist im Dienste meines Lord Telfan von Ganymed«, erwiderte ich. »Bevor die Angriffe der Throngi den Handelsverkehr lahmlegten.«
    »Der Mutter sei Dank«, sagte er. »Der König hat al le Schiffe des Planeten zusammengerufen und möchte, daß jede Stadt ihr eigenes Raumschiff bemannt. Meine Männer durchkämmen eben die Kuppel, aber bisher haben sie nur zwei Triebwerkmechaniker zutage gefördert. Wenn wir nicht bald jemanden finden, werden Sie wohl Kapitän des Schiffes Ihrer Stadt werden – mangels anderer Kandidaten.«
    Der einzige Mann, der noch gefunden wurde, war ein ehemaliger Zahlmeister, der vor über zwanzig Jahren zum letztenmal auf der Sirius-Route geflogen war. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich wünschte, ich könnte meine Gefühle und die Reaktionen meiner Mitbürger beschreiben, als wir jetzt die Stadt evakuierten und das Schiff startklar machten. Aber in meiner Erinnerung klafft hier eine große Lücke. Die Kuppel nach so langer Zeit und in der Hoffnung zu verlassen, daß irgendwo noch eine starke, lebensfähige Organisation existierte – das war einfach zuviel. Der Wechsel war zu gewaltig und zu plötzlich, als daß wir ihn sofort bewältigten. Wir standen herum und warteten auf die Meldung, daß außer den Toten und Sterbenden niemand mehr in der Stadt war. Wir waren schließlich noch etwa zweihundert: Männer, die die Kuppel erleichtert zurückließen; Männer, die die Kuppel haßten, die der Gedanke aber schockierte, plötzlich abrupt von einem Ort fortgerissen zu werden, an den sie durch die Tiefe ihres Erlebens gefesselt waren; Männer, die die Vorstellung entsetzte, daß eine Einwohnerschaft von vierzigtausend zur Besatzung eines kleinen Raumschiffes zusammengeschrumpft war.
    Endlich kam die Meldung, und mein Gewährsmann wandte sich zu mir um. »Sie sind also unser ranghöchster Offizier«, sagte er. »Wir können Ihnen eine Notmannschaft mitgeben, die Ihnen hilft, Ihr Schiff nach Everest zu bringen. Aber dann erwarten wir von Ihnen, daß Sie Ihre Mitbürger in der Bedienung der Kontrol len unterweisen.« Ich nickte und sammelte meine bun te Truppe zusammen, sowie die Handvoll Männer, die das Schiff tatsächlich steuern sollte. Dann verschlossen wir vor dem vorwurfsvoll aufragenden Berg von Toten unsere Schleusen.

 
5
    Wir stiegen mühelos auf, dichtauf gefolgt von unserem Schwesterschiff. Die Lichter der Stadt verlöschten, als ihre kybernetischen Wächter spürten, daß ihnen kein Lebewesen mehr anvertraut war. Im gleichen Augenblick wuchs die gesamte Kuppel wie ein Rauch- und Flammenpilz in die Höhe. Eine Lautsprecherstimme sagte tonlos: »Es tut uns leid, daß wir das tun mußten, aber wir dürfen den Throngi auf der Erde keinen Ansatzpunkt bieten. Nüchtern gesehen, werden wir damit wenigstens auf hygienische Art und Weise die Toten los.« Meine Begleiter schwiegen. Ich glaube, ihnen kam der Schock des Abflugs in diesem Augenblick um so mehr zu Bewußtsein, als ihre Nabelschnur zur
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