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Das Kriegsbuch

Das Kriegsbuch

Titel: Das Kriegsbuch
Autoren: James Sallis (Hrsg)
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Vergangenheit jetzt so brutal durchtrennt wurde. Ich selbst ging viel zu sehr in der Freude des Fliegens auf, um einen Gedanken an die Stadt zu verschwenden.
    Ich hatte mal Raumpilot werden wollen, und obwohl ich nur vor den Kontrollen eines Trainingsgeräts gesessen und die Erde vor fünf Jahren zum letztenmal verlassen hatte, flutete Sekunden nach dem Start all mein Wissen zurück. Mit Hilfe zweier Leutnants vom königlichen Schiff handhabte ich die Kontrollen bald allein, und als wir die erste Übelkeit des freien Falls verspürten, kam ich mir seit vielen Monaten zum erstenmal wieder richtig frei und sauber vor, auch wenn wir nur in einer engen Kurve flogen und die Erdatmosphäre überhaupt nicht verließen.
    Unter uns offenbarte das verwüstete Gesicht der Er de seine Narben. Überall leuchteten die blauen Brand flecke der Strahlung. Über uns schimmerten elektrischblau die Pünktchen und Streifen der Ionenstrahlen patrouillierender Throngi-Schiffe, die auf Blockade-Wache waren. Einen engen Durchschlupf galt es zu treffen zwischen der Verwüstung unter uns und der Bedrohung von oben.
    Aber mein Astrogator war ein kleines Genie. Ohne Kurskorrektur begannen wir den Abstieg genau an dem Punkt, an dem uns die Bodenmannschaft in Everest mit ihren Traktorstrahlen ergreifen und uns sanft auf dem Landegestell absetzen konnte. Und das war keine leichte Aufgabe, denn das Landefeld blitzte vor Schiffen wie ein Meer aus gefrorenem Metall. Ich weiß, daß ich mich durch die Zahl der Schiffe blenden ließ. Meines Wissens gab es auf der Erde nur noch hundertunddreißig Städte, von denen nicht alle ihre Schiffe beisteuern konnten. Nach der Vernichtung der Flotte war etwa noch einmal die gleiche Anzahl königlicher Schiffe vorhanden. Bestenfalls waren also dreihundert Raumschiffe hier auf dem Flugfeld zusammengekommen. Doch ihre dicht geschlossenen Reihen schienen sich mir wie eine Stadt aus schimmernden Turmspitzen bis zum Horizont zu erstrecken – Turmspitzen, die über Nacht wie Pilze aus dem Nährboden gewachsen waren.
    Die Raketen waren noch nicht abgekühlt, als sich die ersten Männer bereits aus der Schleuse drängten. Nach der langen Gefangenschaft waren sie begierig, Everest zu sehen – »Heiligtum und Fleischtopf des Pilgerplaneten«, wie ein Historiker die Hauptstadt einmal nannte. Im Bewußtsein meiner neuen Würde folgte ich meinen Männern in einigem Abstand, wenn mein Eifer auch bestimmt nicht geringer war. Doch am Fuße des Fahrstuhlschachts wartete mein Mittelsmann bereits auf mich, der sich jetzt als Leutnant Cori von der königlichen Raummarine vorstellte.
    »Meine Männer werden sich um Ihre Mannschaft kümmern«, sagte er. »Aber Sie müssen leider an der Audienz teilnehmen, die der König für die Stadtkapitäne gibt. Ich soll Sie hinbringen. Anschließend zeige ich Ihnen Ihr Quartier, und später können wir uns vielleicht die Stadt ansehen.«
    Ich folgte ihm über das Landefeld auf die großen Gebäude des Königspalastes zu. Zuerst glaubte ich, daß mit dem Sauerstoffsystem meines Anzugs etwas nicht in Ordnung war oder daß mir die Höhe zu schaffen machte – denn meine Umgebung schien plötzlich vor und zurück zu schwanken. Dann wurde der singende Ton in meinen Ohren zu einem schrillen Laut, und mit fiebrig ansteigender Körpertemperatur trübte sich meine Helmscheibe. Ganz weit weg hörte ich Cori etwas sagen, dann kam mir der Boden entgegen. Mein letzter bewußter Gedanke galt dem Bedauern, daß meine Immunität nur scheinbar gewesen war und sich jetzt verflüchtigt hatte, da ich die Erlösung verlockend vor mir sah.
     
    In der nun folgenden Zeit durchlebte ich noch einmal meine zwei Jahre in der Kuppelstadt. Ich glaubte, ich wäre tot und befände mich in einer speziell für mich geschaffenen Hölle. Doch von Zeit zu Zeit machte ich einen Augenblick der Klarheit durch, und ich wußte, daß ich nur träumte und daß irgendwo dort draußen die Welt ihren Lauf nahm. Wie ein Fisch, der durch das Glas seiner Schale blickt, starrte ich in eine kreisförmi ge Welt, an deren Rand sich die Köpfe von Beobachtern aufreihten; zuweilen waren es nur einer oder zwei. Manchmal konnte ich auch nur eine Decke sehen, doch immer hörte ich Stimmen, gedämpft und weit entfernt, so daß ich sie nicht verstehen konnte.
    Endlich kam eine längere Bewußtseinsperiode, in der ich zum erstenmal den Tank wahrnahm, in dem ich lag, eingebettet in eine Nährflüssigkeit und mit unzähligen Drähten am Körper. Wieder waren
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