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Unter Verdacht

Unter Verdacht

Titel: Unter Verdacht
Autoren: Julia Arden
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1.
    V or einer Stunde hatte Sylvia sich lustlos in ihren Mehrteiler aus Blazer, Weste und Hose geworfen, hinreichend frisiert, leichtes Make-up aufgetragen – und fand, dass sie jetzt ziemlich überflüssig hier herumstand. Schon zweimal hatte sie sich am Büfett vergriffen, nur um die Zeit totzuschlagen.
    Insgeheim verfluchte sie ihren Chef, Professor Bauer, der sie am Freitag kurzerhand zu diesem Termin verdonnert hatte. »Herr Reeder hat ausdrücklich um Ihr Erscheinen gebeten. Sie wissen, Sie sind seine Lieblingsberaterin. Gott sei Dank, denn das sichert der Uni wichtige Aufträge. Außerdem ist es wohl angebracht, dass Sie an der offiziellen Vergabe des Kießling-Projektes teilnehmen, nachdem Sie wochenlang Entwürfe begutachtet haben und Ihre Empfehlung den Ausschlag gab.« Sylvias Ablehnung wollte Bauer nicht hören, wischte sie mit einer Handbewegung, als vertreibe er eine lästige Fliege, einfach weg. Weder Ausreden noch die Flucht in Proteste halfen Sylvia. Bauer ließ nicht mit sich verhandeln.
    Aber eines stand für Sylvia fest: Nach dem offiziellen Procedere würde sie sofort verschwinden!
    Sylvia äugte erneut zum Büfett, welches – zugegebenermaßen – lasterhaft pompös war und dem Gaumen der Gäste jeden erdenklichen Genuss bot. Nach kurzem Zögern steuerte sie mit ihrem Teller erneut auf die Verlockung zu. »Am heutigen Abend wirst du sicherlich zwei Kilo zunehmen, weil du andauernd aus Langeweile isst«, flüsterte ihr selbstquälerisches inneres Ich. »Na, und wenn schon«, warf sie diesem trotzig entgegen. »Wenn ich mir den Sonntagabend schon mit Arbeit verderben muss, dann will ich auch was davon haben.«
    Plötzlich hörte Sylvia eine fröhliche Stimme neben sich.
    »Ich habe schon zwei Sandwichs, einen Teller Obstsalat und eine dieser köstlichen Lachsschnittchen verdrückt.«
    »Dann habe ich ein Sandwich und zwei Frikadellenbällchen Vorsprung. Wie sieht es bei den Getränken aus?« Sylvia blickte auf die junge Frau, die neben ihr das Büfett plünderte und in leichtem Plauderton über ihre kulinarischen Sünden sprach.
    »Ich habe vorsichtshalber nicht mitgezählt«, sagte diese schelmisch.
    Sie sahen sich an und lachten.
    »Hallo, ich bin Karen Candela.«
    »Sylvia Mehring«, stellte Sylvia sich vor und verbarg ihre Überraschung. »Candela« stand unter dem Entwurf, für den sie sich stark gemacht hatte. Nicht nur das Konzept für das ausgeschriebene Objekt, auch die beigefügten Referenzprojekte waren ausnahmslos beeindruckend gewesen. Stand sie hier der Architektin gegenüber? Sylvia schätzte Karen auf gerade mal Anfang dreißig, also außergewöhnlich jung für jemanden, der bei den Großen der Branche mitmischte.
    Neugierig betrachtete sie die junge Frau. Der Pony des kurzen, blonden Haares fiel tief in die Stirn. Sie trug eine fließend fallende, schwarze Hose. Passend dazu einen einfachen cremefarbenen Blazer mit langem Reverskragen, unter dem ein Pulli hervorsah. Der unterste Knopf des Blazers war zugeknöpft. Seine leicht taillierte Form unterstützte unauffällig die feminine Silhouette. Karen Candela wirkte in dieser Kombination sowohl leger als auch elegant, ein faszinierender Kontrast, vielleicht hervorgerufen durch die Mokassins aus schwarzem Lackleder.
    Sylvia bemerkte nicht, dass sie länger als gebührend in ihrer Betrachtung versunken war. Erst als sie in die zwei durchdringend blickenden, dunkelblauen Augen schaute, die sie spöttisch anblitzten, wurde sie sich der Tatsache bewusst.
    »Entschuldigung«, murmelte Sylvia verlegen.
    »Wenn Sie mit der Betrachtung meiner Person fertig sind, beantworten Sie mir eine Frage?« Karen wartete Sylvias Zustimmung nicht ab. »Ich beobachte Sie schon eine Weile. Sie sind unzufrieden. Einerseits wirken Sie wie die vom lieben Ehegatten geparkte und vergessene Ehefrau. Andererseits sehen Sie mir so gar nicht nach diesem Typ aus. Wer oder was zwingt Sie hierzubleiben?«
    Sylvia war verblüfft. Sie fühlte sich ertappt von dieser Frau, die so gar keinen Wert auf die übliche Zurückhaltung zu legen schien und die in ihrem Gesicht las, wie in einem Buch.
    »Sind Sie Hellseherin?«
    Karen lächelte. »Ein wenig.«
    »Der Mann, der daran schuld ist, dass mein Wochenende unliebsam verkürzt wurde, ist nicht mein lieber Ehegatte, es ist mein Chef.«
    »Ach herrje, und wo ist der Gute?«
    »Das ist ja das Ungerechte. Mich hat er zwangsverpflichtet, und er macht sich zu Hause einen schönen Abend.«
    »Verstehe. Man setzt voraus,
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