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Das Kriegsbuch

Das Kriegsbuch

Titel: Das Kriegsbuch
Autoren: James Sallis (Hrsg)
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sich der Rat bei dieser Entscheidung gedacht hatte. Es war allgemein bekannt, daß Admiral Abran Loossi zwar ein mutiger, wenn auch ignoranter Mann war, daß sein Bruder Gie jedoch ein absoluter Narr genannt werden mußte. Und was die beiden Damen anging, die jetzt den Thron mit ihm teilten, so war ihr Ruf früher einmal Gesprächsstoff für alle Raumkapitäne innerhalb der Plutokreisbahn gewesen. Das Rätsel beschäftigte mich einige Tage, ehe es von einem viel bedeutenderen Ereignis verdrängt wurde. Die Seuche brach über uns herein.
    In unseren schmutzigen Körpern und den überfließenden Abwässerkanälen gezeugt, brach die Epidemie eines Nachts aus und schlug so heftig zu, daß wir innerhalb weniger Tage bereits Tausende von Todesopfern zu beklagen hatten. Eine Handvoll Ärzte kämpfte verzweifelt dagegen an, doch ihre Bemühungen waren von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Das lag nicht nur daran, daß ihnen die Katastrophe arbeitsmäßig über den Kopf wuchs, sie wußten auch nicht recht, mit was für einer Krankheit sie es eigentlich zu tun hatten. Im Grunde war es ein recht gewöhnliches Leiden, wobei die auslösenden Bazillen durch die latente Strahlung derart mutiert waren, daß ohne ausreichende Forschungsmöglichkeiten eine Heilung unmöglich schien. Und die hatten wir einfach nicht. Die Zahl der Toten verdoppelte sich von Tag zu Tag.
    Wir konnten die Opfer nicht begraben, da der Boden unter der Kuppel aus festem Beton bestand. Auch durften wir sie nicht verbrennen, da es uns am nötigen Brennstoff fehlte. Die Sterbenden und Toten blieben also liegen, wo sie hinfielen, und westen oft tagelang vor sich hin, bis ein noch gesunder Mann in einem Raumanzug die Zeit aufbrachte, den Körper aus der Kuppel zu zerren.
    Meine Raumgenossen starben wie die Fliegen, während ich – vielleicht wegen meines neuerwachten Interesses an der Körperhygiene – immun blieb. Wenn in unserem Zimmer jemand krank wurde, übernahm ich die Pflege, wobei mir der Umstand half, daß wir bei steigender Totenzahl auch mehr Wasser zur Verfügung hatten. Ich konnte den Kranken also die Stirn anfeuchten, wenn das Fieber zu stark wurde, und hatte auch ausreichend Wasser für all die anderen Arbeiten, die ich übernahm; nur sehr wenige wollten mithelfen. Wie ich schon sagte, hielt ich die Immunität teilweise mei nen Säuberungsbemühungen der letzten Wochen zugu te. Aber wahrscheinlich half mir auch die Tatsache, daß ich mir im Gegensatz zu vielen anderen eine gewisse geistige Beweglichkeit bewahrt hatte. Die meisten Menschen nahmen die Seuche wie Schafe hin, die sich widerstandslos zur Schlachtbank treiben lassen und sich dann zufrieden zum Sterben niederlegen. Auch die Gesunden sahen oft teilnahmslos zu, wie ihre Mitmenschen ringsum zu Boden sanken.
    Die Seuche wütete vierzehn Tage lang, bis kaum noch Menschen zum Sterben übrig waren. Die Straßen leerten sich, und die Luft kühlte so weit ab, daß die Übriggebliebenen wieder Kleidung tragen mußten. Nun hatte es schon eine Woche lang keinen Morgengottesdienst mehr gegeben, und zum erstenmal spürte ich einen Hauch von Niederlage in der Luft. Nach der Hitze und dem Lärm durchzog jetzt eine bemerkenswerte Kälte und Ruhe die Stadt – die Kälte und Ruhe des Todes, wie mir scheinen wollte.
    Als mein letzter Zimmergenosse gestorben war, brachte ich seinen Körper in einem Handwagen quer durch die leere Stadt zu einer Hauptluftschleuse. Ich wollte ihn begraben. Bei den Halterungen für die Raumanzüge sah ich niemanden, und auch die Schleu se selbst war unbemannt. Also nahm ich mir einen Anzug herunter, legte ihn an, faßte meinen Kameraden unter die Achseln und schleppte ihn nach draußen, wobei ich den Schleusenmechanismus selbst bediente.
    Vor der Kuppel hatte einmal das Raumschiff der Stadt die Landschaft beherrscht. Jetzt wurde der Blick nicht mehr von den schlanken Umrissen des Raumfahrzeugs angezogen, sondern richtete sich unwillkürlich auf den riesigen Leichenhaufen, der wie ein künstlicher Berg aus der Ebene aufragte; der Tod hatte schweren Tribut gefordert. In der stillen Einsamkeit hier im Freien war dieser riesige Berg ein bedrückender und allgegenwärtiger Mittelpunkt. Heute jedoch bewegte sich eine große Anzahl von Menschen außerhalb der Kuppel, was die leeren Straßen in der Stadt noch verlassener erscheinen ließ. Überall hier draußen herrschte eine fast hektische Betriebsamkeit, und in meinem winzigen Helmempfänger knisterten zahlreiche Gespräche.
    Ich
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