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Das Kriegsbuch

Das Kriegsbuch

Titel: Das Kriegsbuch
Autoren: James Sallis (Hrsg)
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man berührte, war glitschig vor Schweiß, und man konnte sich nicht bewegen, ohne an irgendeinen heißen, feuchten Körper zu stoßen. Des Nachts schliefen wir aneinandergereiht wie die Sardinen – Kopf an Fuß – und schmorten in unserer eigenen Körperhitze. Männer und Frauen lebten hier zusammen, worüber sich manch ignoranter Mann hinterher aufregte. Aber wenn jemand in unserem Tun etwas Unmoralisches sah, dann hat er nie so leben müssen. Die Männer und Frauen waren einfach zu schwach, zu niedergeschlagen und zu sehr in die eigenen Sorgen verstrickt, um einen Gedanken an das andere Geschlecht zu verschwenden. Die Frau en, die jeden Abend links und rechts von mir lagen, waren für mich nur Faktoren, die zu meinem Unbehagen beitrugen. Sex, Sittsamkeit und Moral waren fixe Ideen einer längst versunkenen und schon fast vergessenen Vergangenheit.
    Ich habe die gleichen zynischen Bürger des Imperiums fragen hören, warum wir uns nicht ergaben, wenn die Situation doch so schlimm war. Diese Männer haben keine Vorstellung von der einen Flamme der Motivierung, die noch in uns allen brannte – der Glaube an unsere Mission auf der Erde. Ein roter Faden, der zum Teil geschichtlichen, zum Teil religiösen Ursprungs war, zog sich durch unsere Erziehung und be herrschte unser Denken. Man lehrte uns, daß sich unse re Vorfahren, die vor Urzeiten zu den Fernen Sternen auswanderten, ein Idealbild der Mutter Erde bewahrten, der sie ihr Leben verdankten. Doch das Imperium von Sirius, das so nahe lag und über die Erde herrsch te, hatte dieses Ideal vergessen oder gering zu achten begonnen. In der Folge war es den echsenähnlichen Throngi vor fünfhundert Jahren nicht schwergefallen, das Sonnensystem in ihre Gewalt zu bekommen. Während wir in den Kuppelstädten litten, waren wir doch stolz auf unsere unmittelbaren Vorfahren, die vor hundert Jahren den Großen Pilgerzug von den Fernen Sternen zur Erde unternommen, die Throngi vertrieben, das Königreich Terra gegründet und den Tempel gebaut hatten, der für alle Menschen überall in der Galaxis zum Heiligtum geworden war. Wir beteten die Erde an und verehrten unsere Vorfahren. Auch in der Zeit größter Erniedrigung kamen wir des Morgens in den Straßen zusammen, um Gottesdienst zu halten, um die alten Pilgerlieder zu singen und im Gebet die Fortsetzung der menschlichen Herrschaft auf Terra zu erflehen. Für uns war es ein heiliger Krieg.
    Leider hängen die Throngi dem Glauben an, daß die Sporen intelligenten Lebens, die von den kosmischen Strömungen in alle Teile der Galaxis getragen worden sind, ihren Ursprung auf der Erde haben. Als Quell des Lebens ist ihnen dieser Planet also nicht minder heilig als uns – auch wenn ihre Religion sonst ganz anders ist. Als sie vor zehn Jahren wieder zum Angriff übergingen, stießen nun in diesem Kampf Glaubensdinge und Prinzipien aufeinander. Keine Seite durfte Erbarmen zeigen oder sich geschlagen geben.

 
2
    Neun Wochen nach Aufnahme unserer Flüchtlingsquote – die Belagerung dauerte nun schon zehn Monate – erreichten die Verhältnisse einen absoluten Tiefpunkt. Unser lang wachsendes Haar war verdreckt und verfilzt und bildete schreckliche gelockte Gorgonenmasken, aus denen unnatürlich glänzende, mißtrauische Augen starrten. Hagere Brustkörbe und aufgedunsene Bäuche zeugten ebenso von unserer Unterernährung wie Arme und Beine, die man bequem mit Daumen und Zeigefinger umspannen konnte. Äußerlich waren wir bar jeder zivilisatorischen Bindung. Mit der Zeit schienen wir im dunkler werdenden Zwielicht der Kuppel auch noch die letzten Reste von Individualität zu verlieren. Zuerst verwischten sich die Unterschiede zwischen den Altersgruppen, dann die Konturen zwischen den Geschlechtern. Schließlich zählten auch die Unterschiede in Körpergröße und Körperbau nicht mehr. Wir schienen alle Spiegelbilder unserer selbst zu sein. Auch geistig flossen wir zur gleichen bedeutungslosen Person zusammen. Wir redeten nicht mehr miteinander, und gemeinsames Handeln ergab sich nur noch auf Grund eines unbestimmten Gruppeninstinkts, der nach und nach die Funktion des einzelnen Willens oder der einzelnen Initiative übernahm. Die Zeit dehnte sich zu einer trockenen Wüste oder wurde zum Sekundenbruchteil eines Augenblinzelns. Ein Vorgang, der nur wenige Minuten in Anspruch nahm, schien ganze Tage auszufüllen, während die Geschehnisse vieler Tage unserem Gefühl nach zu Sekunden zusammenschmolzen. Das einzige Ereignis, das die
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