Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zerstöre mich

Zerstöre mich

Titel: Zerstöre mich
Autoren: Tahereh H. Mafi
Vom Netzwerk:
PROLOG
    Ich wurde angeschossen.
    Und ich muss sagen: Eine Schusswunde ist wesentlich unangenehmer, als ich vermutet hätte.
    Meine Haut fühlt sich klamm an, das Atmen fällt mir übermenschlich schwer. Der Schmerz in meinem rechten Arm ist so grausam, dass ich kaum etwas anderes wahrnehmen kann. Ich kneife die Augen zu, beiße die Zähne zusammen, zwinge mich zur Konzentration.
    Um mich herum herrscht ein unerträgliches Chaos.
    Alle schreien durcheinander. Einige fassen mich an, man sollte ihnen die Hände amputieren. »Sir!«, schreien sie, als erwarteten sie meine Befehle, als seien sie ohne mich komplett orientierungslos. Diese Feststellung erschöpft mich.
    »Können Sie mich hören, Sir?« Eine weitere Stimme, aber gegen diese eine habe ich nichts einzuwenden.
    »Sir, bitte, können Sie mich hören …«
    Ich zwinge mich zu sprechen. »Ich habe eine Schusswunde, Delalieu, aber ich bin nicht taub.« Ich öffne die Augen. Sehe Delalieu, der mich panisch anstarrt.
    Sofort hören alle mit dem Geschrei auf. Es wird still. Delalieu sieht verstört aus.
    Ich seufze.
    »Bringen Sie mich zurück«, sage ich und bewege mich ein bisschen. Die Welt gerät ins Schwanken, kommt wieder zum Stillstand. »Informieren Sie die Ärzte, lassen Sie mein Bett vorbereiten. Und jetzt heben Sie meinen Arm hoch und üben weiter Druck auf die Wunde aus. Die Kugel hat irgendwas zerschlagen, man wird operieren müssen.«
    Delalieu reagiert nicht; und das für einen Moment zu lange.
    »Gut, dass Sie am Leben sind, Sir«, sagt er dann mit zittriger Stimme. »Gut, dass Sie am Leben sind.«
    »Das war ein Befehl, Lieutenant.«
    »Natürlich«, sagt er rasch. »Gewiss, Sir. Welche Instruktionen soll ich den Soldaten geben?«
    »Sie sollen sie finden«, sage ich. Das Sprechen fällt mir immer schwerer. Ich atme vorsichtig ein, streiche mir über die Stirn. Es entgeht mir nicht, wie heftig ich schwitze.
    »Ja, Sir.« Delalieu will mir aufhelfen, aber ich halte seinen Arm fest.
    »Eines noch.«
    »Sir?«
    »Kent«, krächze ich. »Ich will ihn lebendig.«
    Delalieu starrt mich mit aufgerissenen Augen an. »Den Gefreiten Adam Kent, Sir?«
    »Ja.« Ich fixiere Delalieu. »Kent will ich mir selbst vornehmen.«

1
    Delalieu steht am Fußende meines Betts, ein Klemmbrett in Händen.
    Er ist mein zweiter Besuch an diesem Morgen. Zuvor waren meine Ärzte erschienen und hatten mich informiert, dass die Operation gut verlaufen sei. Sie sagten, wenn ich diese Woche noch im Bett bliebe, würden die neuen Medikamente, die ich bekommen hätte, den Heilungsprozess enorm beschleunigen. Ferner teilten sie mir mit, dass ich zwar bald wieder meine tägliche Routine aufnehmen könne, aber noch mindestens einen Monat lang eine Armschlinge tragen müsse.
    Ich erwiderte, das sei eine interessante Theorie.
    »Meine Hose, Delalieu.« Ich hebe den Kopf, wehre mich gegen die Übelkeit, die mit den Medikamenten einhergeht. Mein rechter Arm ist komplett unbrauchbar.
    Ich schaue hoch. Delalieu starrt mich unverwandt an. Sein Adamsapfel hüpft an seinem Hals auf und ab.
    Ich verkneife mir das Seufzen.
    »Was ist los?« Ich stütze mich mit dem linken Arm ab und setze mich auf. Brauche dazu meine gesamte Kraft und muss mich schließlich am Bettgestell festhalten. Als Delalieu helfen will, schüttle ich den Kopf und schließe die Augen, um den Schwindel zu vertreiben. »Spucken Sie’s aus«, sage ich. »Hat keinen Sinn, schlechte Nachrichten zurückzuhalten.«
    Seine Stimme ist rau und bricht zweimal, als er sagt: »Der Gefreite Adam Kent ist entkommen, Sir.«
    Unter meinen Lidern scheint ein grellweißes Licht zu explodieren.
    Ich hole tief Luft und streiche mir mit der unversehrten Hand durch die Haare. Sie fühlen sich verklebt an – angetrocknetes Blut und Schmutz wahrscheinlich. Ich würde gerne mit der Faust die Wand durchschlagen.
    Doch ich reiße mich zusammen.
    Plötzlich nehme ich alles wie mit geschärften Sinnen wahr – Gerüche, Geräusche, Schritte draußen vor der Tür. Finde die grobe Baumwollhose, die man mir angezogen hat, unerträglich. Finde es unerträglich, dass ich keine Socken trage. Ich will duschen. Ich will mich umziehen.
    Ich will Adam Kent eine Kugel ins Rückgrat jagen.
    »Hinweise«, fordere ich. Die Luft ist kalt, als ich mich in Richtung Badezimmer bewege, und ich fröstle, weil mein Oberkörper immer noch nackt ist. Ich versuche mich zu beruhigen. »Sie wollen mir diese Information doch wohl nicht ohne weitere Hinweise übermitteln.«
    Mein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher