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Mord zur Bescherung

Mord zur Bescherung

Titel: Mord zur Bescherung
Autoren: Jean G. Goodhind
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Prolog
    Maine, USA.
    Die Lautsprecher im Gefängnis plärrten Weihnachtslieder, und zwei Wärter waren damit beschäftigt, einen aufblasbaren Weihnachtsmann hinter einem eisernen Gitter aufzustellen.
    Professor Jake Truebody hüstelte, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Widerwillig kam einer der beiden über den Hof auf ihn zu.
    »Was ist los, Doc?«
    »Einer meiner Aktenordner ist verschwunden.«
    »Das tut mir leid, Professor. War was Wichtiges drin?«
    Auf einer Skala von eins bis zehn hatte die Reaktion des Wärters eine dicke fette Null erreicht. Waffen – das heißt alle scharfen Gegenstände mit einer Spitze, die brachten acht bis zehn. Hereingeschmuggelte Dinge wie Drogen, Mobiltelefone oder Schnaps irgendwas zwischen sechs und sieben. Die Unterlagen eines Professors, der nur ab und zu hier auftauchte, erzielten etwa den gleichen Wert wie ein Paar sechs Jahre alte Sportschuhe oder ein ausgeleierter Slip. Null.
    Der Professor versuchte seine Ungeduld zu zähmen. »Für mich schon. Es war ein wichtiger privater Brief drin, der auf die Post muss, und dann waren da noch einige Notizen für den Geschichtskurs. Die Gefangenen haben sich darauf gefreut.«
    Die Miene des Wärters verzog sich leicht. Ernsthaftes Interesse kämpfte mit Belustigung. Die Belustigung siegte.
    Grinsend sagte er: »Ich hoffe, es ist nichts zu Blutrünstiges, Professor. Sie wissen doch, wie sehr der Direktor darauf bedacht ist, unsere Insassen vor zu viel Blut und Horror zu beschützen. Tom und Jerry stehen schon auf der schwarzen Liste, und im Augenblick überlegt er, ob bei Schneewittchen und denSieben Zwergen nicht zu viele sexuelle Untertöne mitschwingen.«
    Der Wärter schaute zu seinem Kollegen und zwinkerte ihm listig zu. Beide grinsten.
    Jake Truebody blinzelte nervös, ehe er kapierte, dass der Mann nur Witze machte. Scherze gehörten in dem großen Gefängnis, wo der Professor einen Geschichtskurs abhielt, einfach dazu. Jeder machte Witze; die Gefangenen, die Wärter, die Lehrkräfte, die allesamt von draußen kamen, das medizinische Personal, sogar der Direktor. So wurden sie besser damit fertig, immer mit den gleichen Gefangenen zu tun zu haben, mit der gleichen Hoffnungslosigkeit, jahrein, jahraus.
    Sobald er begriffen hatte, dass der Wärter nur gescherzt hatte, rang sich Professor Jake Truebody ein kleines, schmallippiges Lächeln ab. Die Gefängnisumgebung war ohnehin deprimierend, und der hemdsärmelige Humor der Bewacher half ihm auch nicht darüber hinweg. Er war ein Mann mit einem ausgeprägten sozialen Gewissen und nahm alles, was er hier tat, sehr ernst. Indem er einen Geschichtskurs für eine Gruppe Lebenslänglicher abhielt, leistete er seiner Meinung nach etwas Wichtiges für die Gesellschaft. Zwei Stunden pro Woche, mehr waren bei seinem Vorlesungsprogramm an der Uni und seinem vollen Terminkalender nicht drin. Die Wärter waren jeden Tag hier; ein wenig Spaß und Leichtherzigkeit half ihnen, das auszuhalten. Dem Professor lagen Witze nicht. Ihm war auch nicht immer klar, ob jemand einen Scherz gemacht hatte oder nicht.
    Er nahm den Kommentar des Wärters ernster, als er gemeint gewesen war.
    »Ich habe mir große Mühe bei der Auswahl der Themen gegeben. Keine blutigen Sachen, nur spannende Einzelheiten zu interessanten Epochen. Kürzlich haben wir uns herausragende Frauen in der Geschichte vorgenommen«, erklärte derProfessor mit seiner üblichen Begeisterung für das Thema, das er liebte.
    »Sie haben sich die Damen vorgenommen?«
    »Natürlich im übertragenen Wortsinn«, erwiderte Truebody und errötete vom Hals bis zu den Haarwurzeln.
    Der Wärter, der zweideutige Bemerkungen liebte, aber Geschichte für Blödsinn hielt, zog die buschigen Augenbrauen in gespielter Besorgnis in die Höhe. »Ich hoffe, das war nicht zu sexy, Professor. Der Direktor hat sehr …«
    »Ja, ja, ich weiß, der Direktor hat etwas gegen einen Lehrplan mit zu viel Sex. Daran halte ich mich natürlich. Es waren übrigens auch einige persönliche Unterlagen bei meinen Vorlesungsnotizen in dem Ordner. Ich habe einen kurzen Abriss meines Lebens verfasst und einen Familienstammbaum aufgezeichnet. Dabei sind einige Überraschungen aufgetaucht, die weitere Nachforschung verdienen würden. Ich hätte also die Papiere wirklich sehr gern zurück. Sie halten also bitte die Augen offen?«
    »Darauf können Sie wetten.«
    Sobald der Professor ihm den Rücken zugewandt hatte, verzog der Wärter den Mund zu einem zynischen Grinsen. Warum um alles
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