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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter
Autoren: R Ford
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Augen ganz groß werden, als wüßte ich die Antwort im voraus. Wir sind plötzlich wie Bruder und Schwester, Hänsel und Gretel, die ihre Flucht in die Sicherheit planen.
    »Ich weiß nicht.« Sie zuckt leicht mit den Schultern, wieder wie ein Mädchen, aber es sieht ganz nach Resignation aus. »Es gibt Leute, die mich heiraten wollen. Aber ich habe vielleicht schon ein Alter erreicht, wo ich keine Männer mehr brauche.«
    »Vielleicht solltest du heiraten. Vielleicht würde es dich glücklich machen.« Ich glaube natürlich keine Sekunde daran. Ich bin selber bereit, sie wieder zu heiraten, das Leben zurück ins rechte Gleis zu bringen. Mir fehlt die reizvolle Ausschließlichkeit der Ehe, der feste Halt und die klare Richtung. X fehlt das offensichtlich auch. Es ist das, was uns beiden abgeht. Wir müssen uns nun alles ausdenken, da wir von Rechts wegen nichts Eigenes mehr haben.
    Sie schüttelt den Kopf. »Worüber habt ihr gestern abend gesprochen, du und Pauly? Ich hatte das Gefühl, es waren alles Männergeheimnisse, die mich nichts angehen. Ich hasse so was.«
    »Wir haben über Ralph gesprochen. Paul vertritt die Theorie, daß wir ihn erreichen können, wenn wir eine Brieftaube nach Cape May schicken. Es war ein gutes Gespräch.«
    X lächelt beim Gedanken an Paul, der auf seine Art mindestens ebenso verträumt ist, wie ich es je war. Ich hatte immer gedacht, daß X diesen Zug an ihm nie besonders mochte, eher Ralphs Bestimmtheit, die ihr näher und daher bewundernswert war. Als er mit der fürchterlichen Reyeschen Krankheit in der Klinik war, setzte er sich eines Tages im Delirium im Bett auf und sagte: »Die Ehe ist eine verdammt ernste Angelegenheit, besonders in Boston« – etwas, das er in Bartlett’s gelesen hatte, in dem er gern blätterte, um Sätze auswendig zu lernen und dann zu zitieren. Ich brauchte sechs Wochen, um die Bemerkung zu Marquand zurückzuverfolgen. Und zu dem Zeitpunkt war er tot und lag bereits hier. Doch X freute sich darüber; für sie bewies es, daß sein Verstand auch im tiefen Koma gut weiterarbeitete. Unglücklicherweise wurde der Spruch für die restliche Zeit unserer Ehe eine Art Motto, eine unbeabsichtigte Verwünschung, die Ralph uns mitgab.
    »Deine neue Frisur gefällt mir«, sage ich. Neu daran war eine Art Tolle im Nacken, die ihr sehr gut steht. Unser Treffen ist längst beendet, aber ich will noch nicht gehen.
    X greift sich eine Strähne, hält sie in gerader Linie vom Kopf weg und versucht, sie aus den Augenwinkeln zu sehen. »Ein bißchen aggressiv, findest du nicht?«
    »Nein.« Und das meine ich wirklich so.
    »Na ja, sie hatten so eine komische Länge, ich mußte was damit tun. Zuhause gab es einen Aufschrei, als sie es sahen.« Sie lächelt, als werde ihr in diesem Moment klar, daß aus Kindern unsere Eltern werden, während wir uns einfach in Kinder zurückverwandeln. »Du kommst dir doch nicht alt vor, Frank, oder?« Sie wendet sich ab und blickt über den Friedhof hinaus. »Ich weiß nicht, wie ich auf all diese beschissenen Fragen komme. Ich fühle mich heute alt. Es ist bestimmt nur, weil du neununddreißig wirst.«
    Der schwarze Mann hat auf der Constitution Street die nächste Ecke erreicht und wartet nun gegenüber der neuen Bücherei darauf, daß die Ampel von Rot auf Grün umspringt. Der Kundendienstwagen des Installateurs ist weg, und ein gelber Minibus hält und läßt an derselben Ecke schwarze Hausangestellte aussteigen. Es sind massige Frauen in weißen, zeltähnlichen Arbeitskleidern; sie plaudern und schwenken ihre großen Schläger-Handtaschen und warten darauf, daß ihre weißen Herrinnen kommen und sie abholen. Der Mann und die Frauen reden nicht miteinander. »Ist das nicht furchtbar traurig«, sagt X mit einem Blick auf die Frauen. »Irgendwie bricht mir das Herz. Ich weiß nicht, warum.«
    »Ich komme mir kein bißchen alt vor«, sage ich, glücklich, eine Frage ehrlich beantworten und vielleicht noch einen guten Rat anbringen zu können. »Ich muß meine Haare ein bißchen öfter waschen. Und manchmal hämmert beim Aufwachen mein Herz wie wild drauflos – aber Fincher Barksdale sagt, ich brauche mir deswegen keine Sorgen zu machen. Ich glaube, es ist ein gutes Zeichen. Ich würde sagen, eine Art von Drang, meinst du nicht?«
    X blickt immer noch zu den Hausangestellten hinüber, die sich zu fünft unterhalten und dabei in die Richtung sehen, aus der sie abgeholt werden. Seit unserer Scheidung hat sie die Fähigkeit entwickelt, völlig
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