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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter
Autoren: R Ford
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all den Kostbarkeiten stammte, den Speisekarten, abgerissenen Eintrittskarten, Fotos, Hotelrechnungen, Tischkarten, ihrem Hochzeitsschleier, und fragte mich, was es um alles in der Welt gewesen sein könnte , was nun in die klare geistlose New Jersey-Nacht entschwebte. Ich mußte an den Rauch denken, der einen neuen Papst ankündigt – einen neuen Papst! –, wenn mir das heute jemand glauben kann, unter diesen Umständen. Und vier Monate später war ich geschieden. Das alles kommt mir nun seltsam vor, weit weg, als sei es einem anderen zugestoßen, und ich hätte nur davon gelesen. Aber das war damals mein Leben, und es ist jetzt mein Leben, und ich bin dennoch ganz guter Dinge. Auch das lernt man als Sportreporter: Es gibt keine transzendenten Themen im Leben. Dinge sind ausnahmslos hier, und sie sind vorbei, und das muß genügen. Die andere Sicht der Dinge ist eine Lüge der Literatur und der Geisteswissenschaften, ein Grund dafür, daß ich als Lehrer keinen Erfolg hatte, und auch ein Grund, weshalb ich meinen Roman in die Schublade gelegt und nicht wieder herausgeholt habe.
    »Ja, natürlich«, sagt X und schnieft. Sie hat fast aufgehört zu weinen, obwohl ich nicht versucht habe, sie zu trösten (ein Privileg, das mir nicht mehr zusteht). Sie hebt den Blick zum milchigen Himmel und schnieft noch einmal. In der Hand hält sie immer noch das angeknabberte Ei. »Als ich im Dunkeln weinte, mußte ich denken, was für ein großer, netter Junge Ralph Bascombe heute wäre und daß ich siebenunddreißig bin, was nun mal so ist. Ich fragte mich, was wir alle eigentlich tun sollten.« Sie schüttelt den Kopf und preßt die Arme fest an den Bauch, wie ich das bei ihr schon lange nicht mehr gesehen habe. »Es ist nicht deine Schuld, Frank. Ich dachte nur, es wäre in Ordnung, in deiner Gegenwart zu weinen. Es ist meine Vorstellung von Kummer. Ist das nicht typisch Frau?«
    Sie wartet jetzt darauf, daß ich etwas sage, daß ich uns von jenem alten Elend der Erinnerungen und des Lebens befreie. Ganz offensichtlich spürt sie, daß heute etwas Seltsames in der Luft liegt, ein frischer Wind, der eine dauerhafte Veränderung ahnen läßt. Und das kann ich, genau das kann ich glücklicherweise mit meinem Optimismus einen Tag oder wenigstens einen Morgen oder einen Augenblick zurückgewinnen, wenn alles dem Kummer ausgeliefert scheint. Meine einzige Charakterstärke, die manches ausgleicht, ist wahrscheinlich, daß ich gut bin, wenn es hart auf hart geht. Mit dem Erfolg komme ich schlechter zurecht.
    »Vielleicht sollte ich ein Gedicht vorlesen«, sage ich mit dem versöhnlichen Lächeln eines abgewiesenen Liebhabers.
    »Ich glaube, ich hätte diesmal eines mitbringen sollen, nicht wahr?« sagt X und wischt sich die Augen. »Statt ein Gedicht zu bringen, hab ich geweint.« Die Tränen haben sie zu einem kleinen Mädchen gemacht.
    »Laß mal, das macht nichts«, sage ich und fingere in meiner Hosentasche nach dem Gedicht, das ich im Büro fotokopiert und mitgebracht habe, für den Fall, daß X nicht daran denken würde. Letztes Jahre hatte ich Housmans Auf den Tod eines jungen Sportlers mitgenommen und den Fehler gemacht, es vorher nicht durchzulesen. Ich hatte es seit meinen Studententagen nicht mehr gelesen, aber dem Titel zufolge glaubte ich mich zu erinnern, es sei gut vorzulesen. Was es nicht war. Es redete viel zu nüchtern – und das auf eine verschwommene Art – von echten Sportlern, und das ist ein Thema, bei dem ich mich sehr erregen kann. Ralph war im Grunde genommen nicht sehr sportlich gewesen. Ich kam kaum über »Bewohner einer stilleren Stadt« hinaus, als ich schon abbrechen mußte und nur noch dasitzen und auf den bescheidenen Grabstein aus rotem Marmor und die kleine Inschrift RALPH BASCOMBE starren konnte.
    »Housman haßte Frauen«, hatte X in die schreckliche Stille hinein gesagt, während ich nur dasaß. »Das geht nicht gegen dich. Mir ist das nur wieder eingefallen, aus irgendeiner Vorlesung. Ich glaube, er war ein alter Päderast, der Ralph geliebt und uns gehaßt hätte. Nächstes Jahr bring ich ein Gedicht mit, wenn’s dir recht ist.«
    »Gut«, hatte ich kläglich geantwortet. Und dann sagte sie, daß ich meinen Roman hätte zu Ende schreiben sollen und daß ich ein Einzelgänger sei und daß sie damals in den sechziger Jahren den Wunsch gehabt habe, die Turnierserie für Berufsgolferinnen zu spielen. Ich glaube, ich tat ihr leid – ich bin mir sogar sicher –, aber ich tat mir auch selbst
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