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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter
Autoren: R Ford
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leid.
    »Hast du wieder ein Housman-Gedicht mitgebracht?« fragt sie jetzt grinsend, wendet sich dann ab und wirft ihr angeknabbertes Ei, so weit sie kann, zwischen die Grabsteine und Ulmen des alten Friedhofteils, wo es geräuschlos aufschlägt. Sie wirft in der Art eines Fängers beim Baseball, in einer eleganten Ausholbewegung am Ohr vorbei und dann schnurgerade in den Schatten. Ich bewundere ihre positive Haltung. Den Verlust eines Kindes zu betrauern, wenn man zwei andere hat, ist eine harte Angelegenheit. Und wir sind darin nicht sehr geübt, auch wenn für uns persönliche Würde und Zuneigung im Mittelpunkt stehen, weil wir nicht wollen, daß Ralphs Tod und unser Verlust sich in der Zukunft verfangen und dabei heimlich unser Leben ruinieren. In gewissem Sinn können wir hier nichts falsch machen.
    Draußen auf der Constitution Street hat der Kundendienstwagen eines Installateurs vor der Ampel angehalten. Easler’s Philco Repair, gefahren von Sid (früher bei Sid’s Service, ein Bankrotteur). Er hat so manches Mal in meinem Haus gearbeitet und ist nun unterwegs zum Marktplatz, um sich in The Coffee Spot eine Tasse zu genehmigen, bevor er sich auf sein Tagespensum an Küchen und Kellern und verstopften Toiletten stürzt. Der Tag hat endgültig begonnen. Ein einzelner Fußgänger – ein Mann – ist auf dem Gehweg zu sehen, einer der wenigen Neger in der Stadt; in einem hellen, pflegeleichten Anzug ist er auf dem Weg zum Bahnhof. Der Himmel ist immer noch milchig-weiß, aber vielleicht setzt sich die Sonne durch, bevor ich mit Vicki zur Motor City fahre.
    »Kein Housman diesmal«, sage ich.
    »Also gut«, sagt X lächelnd und setzt sich auf Craigs Grabstein, um zuzuhören. »Wenn du meinst.« Die vielen Lichter auf den Rückseiten der Häuser in meiner Straße verblassen im Tageslicht. Mir ist jetzt wärmer.
    Es ist eine »Meditation« von Theodore Roethke, der auch die Universität von Michigan besucht hat, was X wissen wird, und ich beginne in meiner besten, glaubwürdigsten Stimme, als könne mein toter Sohn dort unten mithören:
    »Aufgesucht hab ich die öden einsamen Weiten hinter dem Auge …«
    X schüttelt schon den Kopf, noch bevor ich bei der zweiten Zeile bin, und ich breche ab und blicke sie fragend an.
    Sie schiebt die Unterlippe vor und rührt sich nicht von dem Grabstein. »Ich mag das Gedicht nicht«, sagt sie ganz sachlich.
    Ich wußte, sie würde es kennen und ihre eigene Meinung davon haben. Sie ist immer noch ein eigensinniges Michigan-Mädchen, das feste Vorstellungen von allem hat und enttäuscht ist, wenn der Rest der Welt nicht denkt wie sie. So ein starkes, strammes, klarblickendes Mädchen sollte im Leben jedes Mannes einen Platz haben. Sie allein sind Grund genug für die Existenz des mittleren Westens, denn dort gedeihen die meisten von ihnen. Ich spüre, wie die Spannung wie ein Fieber von mir auf sie übergreift. Möglicherweise ist es keine gute Idee, ein Gedicht über dem Grab eines kleinen Jungen zu lesen, der sich aus Gedichten nie etwas gemacht hat.
    »Ich dachte mir schon, daß du’s kennst«, sage ich mit einer verbindlichen Stimme.
    »Ich sollte eigentlich nicht sagen, daß ich es nicht mag«, bemerkt X kühl. »Ich glaube einfach nicht daran, das ist alles.«
    Es ist ein Gedicht über die Möglichkeit, sich vom Alltäglichen glücklich machen zu lassen – von Insekten, Schatten, dem Farbenspiel im Haar einer Frau –, auch etwas, von dem ich sehr viel halte. »Wenn ich es vorlese, denke ich immer, ich bin es, der da redet«, sage ich.
    »Ich glaube nicht, daß die verschiedenen Dinge in diesem Gedicht irgend jemand glücklich machen würden. Sie machen einen vielleicht nicht unglücklich, aber das ist auch schon alles«, sagt X und gleitet von dem Grabstein. Sie lächelt auf eine Art, die mir nicht gefällt, schmallippig und geringschätzig, als irrte ich mich ihrer Meinung nach in allem, und als finde sie das amüsant. »Manchmal denke ich, niemand kann mehr glücklich sein.« Sie steckt die Hände in ihre Manteltaschen. Sie hat wahrscheinlich um sieben eine Stunde zu geben oder ein Seminar über das Durchschwingen, und sie ist innerlich schon weit, weit weg.
    »So wie ich das sehe, sind wir alle auf den Rest unseres Lebens losgelassen worden«, sage ich voller Hoffnung. »Hab ich nicht recht?«
    Sie starrt auf das Grab unseres Sohnes, als horche er und finde es peinlich, uns zu hören. »Kann schon sein.«
    »Wirst du tatsächlich heiraten?« Ich spüre, daß meine
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