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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr
Autoren: Horst Biernath
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E R S T E S K A P I T E L

    Es war ein runder Wehrturm der mittelalterlichen Stadtbefestigung, dessen verrottete Treppen Lutz Ventura notdürftig geflickt und in dessen erstem Stockwerk er sich zwei Räume und ein winziges >Wehzehchen< ausgebaut hatte, durch dessen Dielenritzen man in das ölige, von Enten durchklingelte Wasser des alten Hallfelder Stadtgrabens hinuntersah. In den Zimmern jedenfalls zog es nicht so scheußlich von unten herauf! Da lagen die breiten, braungestrichenen Dielenbretter fest und dichtgefügt auf mannsstarken Eichenbalken, die die Jahrhunderte besser überdauert hatten als das scheinbar für Ewigkeiten gefügte Mauerwerk. Das bröckelte besonders weiter oben, wo man aus schmalen Mauerschlitzen weit über das Flußtal sah, bedenklich ab und polterte, zumal in Sturmnächten, bedrohlich auf die Decke; aber jetzt war das Dach dicht, und das war die Hauptsache. Und hatte der Fischerturm fünf Jahrhunderte und ein gutes Dutzend Kriege überstanden, so war eigentlich nicht einzusehen, weshalb er gerade nach diesem bösesten aller Verwüstungsstürme Zusammenstürzen sollte. Und im übrigen hing unten neben der Tür ein deutlich sichtbares Schild: »Betreten auf eigene Gefahr!«
    Wem also ein Brocken auf den Kopf fiel, der hatte es sich selber zuzuschreiben.
    Die beiden Zimmer waren größer, als man es von außen vermutet hätte. Fast jeder Besucher, der den Turm zum erstenmal betrat, sprach das aus. Die Räume hatten ein paar Jahrhunderte lang den Fischern von Hallfeld als Versammlungs- und Zunfträume gedient. Aber daran erinnerte nichts mehr als eben der Name des Turms und die Patina an den verräucherten Decken, deren goldbraune Tönung Qualm und Aroma des Eigenbaues vergangener Jahre ein wenig vertieft hatten. Es war gemütlich unter den dicken Deckenbalken, es war eine richtig gemütliche kleine Wohnung, eingerichtet mit alten Bauernmöbeln, bemalten Schränken, bunten Truhen, zwei schmalen, altersgebeizten Refektoriumstischen, von denen einer, mit Zetteln, Büchern und Papieren überladen, so aussah, als ob daran tatsächlich gearbeitet würde. An den Wänden standen ein paar selbstgezimmerte Fichtenholzregale voller Bücher, und darüber hingen, zumeist auf den Keilrahmen, ein paar verrückte, aber sehr bunte Bilder, die die braven Bauernheiligen auf den Schranktüren nicht kränken konnten; denn kein Heiliger konnte ahnen, daß die Modelle dieser farbenprächtigen Kreise und Kreissegmente einst in paradiesischer und durchaus reizvoller weiblicher Nacktheit vor den Meistern dieser Werke gestanden hatten. Nein, die Heiligen schauten freundlich auf diese fleischliche Geometrie, sogar der heilige Antonius blickte unbeirrt auf einen Farbenwirbel, von dem sein Schöpfer allein wußte, daß es ein weiblicher Akt sein sollte.
    Natürlich hätte Lutz Ventura, der eigentlich Ludwig Müller hieß — aber das ahnten nicht einmal seine intimsten Freunde —, es in den bösen Jahren nach dem Kriege nie ohne Margots Hilfe geschafft. Weder hätte er das Dach abdichten noch ein Brett in der Treppe ergänzen können, ja, es ist zu befürchten, daß er außer den Büchern und Bildern nicht ein einziges Möbelstück bei den Althändlern und Bauern aufgetrieben hätte. Das Porzellan, von dem er aß, und die Tassen, aus denen sie ihren Kaffee oder Tee tranken, alles trug im feinen blauen Rand die verdächtige Herkunftsmarke »Hotel Adler — Besitzer Otto Sonnemann«.
    Nun, die Sache ist leicht erklärt, Margot war eine Tochter dieses Herrn Otto Sonnemann. — Recht eigentlich aber hätte dieser zartblaue Stempel sich fast auf jedem Möbelstück und auf jedem Fleckerlteppich befinden müssen, sogar auf dem großen, chintzüberzogenen, aus sechs Matratzenteilen bestehenden Diwan. Ob Herr Otto Sonnemann wußte, daß ein Teil seines Hotelporzellans, seiner Tischdecken, seiner Bettwäsche und seiner Kellervorräte vor ein paar Jahren dazu gedient hatte, Herrn Lutz Ventura auf dem Wege der Tauschgeschäfte sozusagen das Nest zu polstern, ist höchst zweifelhaft. Ein Mann, dem zwei Söhne gefallen waren und der zwei Töchter an fremde Hotels verheiratet hatte, wünscht sich gewiß keinen Schriftsteller als Schwiegersohn und Erben. Vielleicht wußte es die Mutter von Margot, denn sie hatte eine Neigung für die Literatur; und wenn ihr auch der Betrieb in der Küche keine Zeit zur Muße ließ, so bekundete sie doch schöngeistige Interessen, da sie seit Jahren auf den Lesezirkel »Daheim« abonniert war. Immerhin war
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