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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter
Autoren: R Ford
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geistesabwesend zu sein. Sie kann sich mit einem unterhalten und gleichzeitig tausend Meilen weit weg sein. »Du bist sehr anpassungsfähig«, sagt sie leichthin.
    »Das bin ich. Ich weiß, du hast in deinem Haus nicht die Möglichkeit, auf der Terrasse zu schlafen, aber du solltest versuchen, in den Kleidern und mit ringsum offenen Fenstern zu schlafen. Wenn du aufwachst, bist du sofort startklar. Ich mache das jetzt schon eine ganze Weile.«
    X zeigt mir wieder ihr schmallippiges, herablassendes Lächeln, das ich nicht mag. Wir sind nicht mehr Hänsel und Gretel. »Gehst du immer noch zu deiner Handleserin, wie heißt sie doch gleich?«
    »Mrs. Miller. Nein, nicht mehr so oft.« Ich werde ihr nicht auf die Nase binden, daß ich gestern abend zu ihr wollte.
    »Hast du eigentlich das Gefühl, daß du inzwischen alles verstehst, was geschehen ist – mit uns und unserem Leben?«
    »Manchmal. Heute sind meine Empfindungen, was Ralph angeht, ziemlich normal. Es sieht nicht so aus, als könnte es mich wieder verrückt machen.«
    »Stell dir vor«, sagt X, ohne mich anzusehen, »heute nacht lag ich im Bett und dachte, Fledermäuse flatterten durch mein Zimmer, und als ich die Augen zumachte, sah ich weit im Hintergrund nur eine Horizontlinie, und alles war leer und flach wie ein langer Eßtisch, an dem nur für einen gedeckt war. Ist das nicht schrecklich?« Sie schüttelt den Kopf. »Vielleicht würde ich besser so ein Leben führen wie du.«
    Eine leichte Verstimmung steigt in mir auf, aber das ist nicht der richtige Ort für eine Verstimmung. In X’ Augen ist mein Leben eine vergnügtere, natürlichere Angelegenheit als ihr eigenes Leben – und gewiß auch als das Leben, das ich tatsächlich führe. Am liebsten würde sie mir wahrscheinlich wieder sagen, daß ich meinen Roman hätte zu Ende schreiben sollen, anstatt aufzustecken und als Sportreporter zu arbeiten, und daß auch sie einiges anders hätte machen müssen. Aber das wäre nicht richtig, zumindest was mich betrifft – oft genug hatte sie das sogar selber gesagt. Sie sieht jetzt alles so düster. Wenn sich in ihrem Wesen etwas durch unsere Scheidung verändert hat, dann ihre Spannkraft, die möglicherweise nachgelassen hat, und besorgte Gedanken wegen des Älterwerdens sind ein Beweis dafür. Wenn ich könnte, würde ich sie aufheitern, aber das ist eine der Gaben, die ich längst eingebüßt habe.
    »Ich muß mich schon wieder entschuldigen«, sagt sie. »Ich bin heute einfach deprimiert. Durch dein Weggehen hab ich irgendwie das Gefühl, daß du zu einem neuen Leben aufbrichst und ich nicht.«
    »Hoffentlich gelingt mir das«, sage ich, »ich habe da meine Zweifel. Ich hoffe, es gelingt dir.« Tatsächlich würde mir nichts besser gefallen, als wenn sich mir heute eine ganz neue, bunte Welt eröffnete, obwohl mir auch mein jetziges Leben durchaus gefällt. Ich denke an ein hübsches Zimmer im Pontchartrain , ein Jägersteak und ein Salatbüfett im langsam rotierenden Dachrestaurant, ein Flutlichtspiel der Tigers. Ich brauche nicht viel zu meinem Glück.
    »Wünschst du dir manchmal, du wärst jünger?« fragt X trübsinnig.
    »Nein, ich bin auch so ganz zufrieden.«
    »Ich wünsche es mir die ganze Zeit«, sagt sie. »Es ist idiotisch, ich weiß.«
    Es gibt nichts, was ich darauf sagen kann.
    »Du bist ein Optimist, Frank.«
    »Das hoffe ich«, sage ich mit einem treuherzigen Lächeln.
    »Gewiß, gewiß.« Und damit dreht sie sich um und macht sich zwischen den Grabsteinen rasch auf den Weg nach draußen, den Kopf zum weißen Himmel erhoben, die Hände tief in den Taschen, ganz das Mädchen aus dem mittleren Westen, das im Augenblick vom Glück verlassen ist, das aber bald wieder obenauf ist, so gut wie neu. Von der Kirche Sankt Leos des Großen her höre ich die Glocken sechs Uhr schlagen, und aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, daß ich sie lange nicht wiedersehen werde, daß irgend etwas vorüber ist und daß irgend etwas angefangen hat, aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, was.

Zwei
    Im Grunde genommen wollen wir nur an dem Punkt anlangen, wo die Vergangenheit nichts mehr über uns aussagt und an dem wir mit unserem Leben fortfahren können. Kann die Lebensgeschichte eines Menschen jemals sehr viel über ihn enthüllen? Meiner Ansicht nach messen Amerikaner in ihrem Bemühen, sich selbst zu definieren, ihrer Vergangenheit zuviel Gewicht bei, und das kann tödlich sein. Ich weiß, ich werde bei Romanen immer tiefbetrübt (manchmal
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