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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht
Autoren: David J. Schow
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1.
    Chicago ist die Hölle, und in der Hölle fährt der Teufel heute Schlitten.
    Boner schraubt die Spitze von seinem extrabreiten Lackstift ab. PUNK TODESSCHWADRON BONER NR. 1 malt er auf die Heckscheibe der Linie El, quer über all die anderen Kommentare, die da schon hingekritzelt wurden.
    Eine Pennerin, die man nur mit viel Wohlwollen als noch weiblich bezeichnen kann, sieht furchtsam vom anderen Ende des Wagens zu, mit Augen wie feuchte schwarze Samenkapseln und einem Körper, der nur aus Schals und abgetragenen Lumpen besteht. Sie rafft ihren Müll in den Tragetaschen zusammen und schlurft zur Tür, bevor der Typ, der die Fenster bemalt, sie bemerken und sich mit ein bisschen Gewalt aufgeilen kann. Sie müht sich verzweifelt, all ihre Taschen zusammenzuhalten und gleichzeitig den Hebel zu bedienen, der die Verbindungstür zwischen den beiden Wagen öffnet.
    Boner signiert mit einem ausholenden Strich, seinem Zeichen. Die neuen Wagen der El bestehen aus einer Art Graffitti-resistentem Aluminium aus Japan. Filzstifte, Lackstifte, fast alles lässt sich einfach wieder abspritzen. Es ist eine Herausforderung, einen Weg zu finden, dem Fortschritt ein Schnippchen zu schlagen. Irgendwie geht das immer.
    Er hat die Pennerin schon taxiert und abgehakt. Da ist null zu holen, weder Kohle noch Spaß. Genauso wenig wie bei dem Säufer, der in seiner eigenen krümeligen Kotze weggeratzt ist. Nichts Brauchbares, null Kohle. Boner registriert den Geruch von Desinfektionsmittel und erbrochenen grünen Bohnen. Das Erbrochene vermischt sich mit dem schwarzen Schneematsch, der überall auf dem Boden des Abteils zurückgeblieben ist. Es ist nicht einfach, überhaupt noch eine Stelle zu finden, wo man hintreten kann.
    Niemand benutzt die letzten Züge, wenn es sich vermeiden lässt.
    Wagen für Wagen holpert der Zug über eine Weiche, und Schneeklumpen lösen sich. Boner bildet sich ein, er könne die Elektrizität fizzeln hören. Er ist stolz auf sein fluoreszierendes Werk. Die anderen ›Leck michs‹, die Banden-Symbole und die spinnwebartigen Risse in den dicken Plastikfenstern zählen alle nicht. Er nimmt seine Baseballmütze ab und schnalzt mit der Zunge.
    Boner ist hager und ausgezehrt, spirrelig, mit hervorstehenden, blutunterlaufenen aquamarinblauen Augen – eine Besonderheit, die Fremde immer wieder überrascht, die bei einem Neger nun einmal dunkle Augen erwarten. Seine Frisur besteht aus millimeterkurzen ockergelb gefärbten Stoppeln, die sich gar keine Mühe geben, die zwei parallelen halbmondförmigen Narben auf seinem Hinterkopf zu verdecken: Überbleibsel eines Rituals aus der Kindheit, das er überlebt hat. Schmale Handgelenke, lange Finger, kurzgeschnittene Fingernägel bis auf den des kleinen Fingers, der spateiförmig zugefeilt ist. Sein Adamsapfel hat die Größe eines Golfballs. Trotz seiner diversen Kleiderschichten ist er schlaksig, und sein flaumiger Schnurrbart verrät Leuten, die ihn nicht kennen, dass er jünger ist, als er scheint. Zwischen den Vorderzähnen hat er kleine dreieckige Lücken. Lächelt Boner, so ist das kein schöner Anblick. Boner lächelt aber selten, wenn er seine Tour macht.
    Seine bei der Prügelei aufgeplatzte Lippe schmerzt immer noch. Er kann die Mundwinkel damit nicht geringschätzig hochziehen, also blickt er unbeteiligt und starr vor sich hin. Jeder, der nicht auch so merkt, dass er sauer und schlecht drauf ist, sollte sich besser vorsehen.
    Heute trägt er seine rot geschnürten Springerstiefel und eine zerfetzte Levis-Weste über einer Motorradjacke mit einem nach oben zulaufenden grünen Rückenteil. Ketten und Nieten halten alles zusammen. Es klingelt, wenn er sich bewegt, wie ein Ozelot mit Glöckchen. Bleib mir vom Hals, oder du kriegst was auf die Schnauze. Auf der Jeansjacke von der Stange sind mysteriöse Zeichen aufgemalt: KILLER PUSSY. D.R.I. STONER’S EVIL. Keiner traut sich nah genug ran, um das zu lesen.
    Boner ist ein verdammt übler Bursche. Er grinst bei dieser Überlegung und zieht dann eine Grimasse, als sich ein Tropfen hellen roten Blutes den Weg durch den kastanienroten Schorf auf einer Unterlippe bahnt. Seine Handschuhe sind fingerlos, deswegen tippt er mit der Fingerspitze gegen seine Lippe und mustert sein Blut dann mit zusammengekniffenen Augen, als wolle er es analysieren. Dann berührt er mit der Fingerspitze seine Zunge.
    Die Welt besteht aus schwarzen Spurrillen, dunklem Schneematsch, der nach verbranntem Gummi stinkt, und einem Wind, der vom
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