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Der Schacht

Der Schacht

Titel: Der Schacht
Autoren: David J. Schow
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Ihre Wärme strahlt durch die Tasche. Er trägt die Pfeife immer in der linken Tasche seiner Levis. In der rechten trägt er sein mexikanisches Klappmesser, ein weißer Knochengriff mit einem zwanzig Zentimeter langen, auf beiden Seiten angeschliffenen Vampirzahn. In der oberen Tasche sind sein silberner Kugelschreiber und das Zippo. Seinen Gürtel zieren mehrere Dutzend Schlüssel an einer Kette und die Schnalle für eine Gürtelgeldtasche mit Reißverschluss und Harley-Flügeln. Und am verlängerten Rücken unter der Kleidung trägt er noch ein großes Survivalmesser aus Armeebeständen. Irgendwo in dem ganzen Leder ist auch ein Stahldraht mit Ringgriffen. Seine verspiegelte Sonnenbrille hängt jetzt in einem Knopfloch. Boner trägt genug Metall an sich, um einen Flughafendetektor mehr als einmal durchbrennen zu lassen.
    Abgesehen von den fünfhundert in bar enthält Boners Bikerbrieftasche noch einen hervorragend gefälschten Ausweis aus Illinois, drei Visitenkarten von Anwälten für Notfälle, eine American-Express-Karte von seinem Boss aus dem gleichen Grund und ein paar Fotos. Hier ist Cynder, die ihm einen ablutscht (von oben aufgenommen, die Brennweite ist falsch eingestellt). Hier spreizt sie ihre Vagina für die Kamera. Und hier hat sie sich eine Weinflasche in die Fotze gerammt und fickt das Gemisch aus Whiskey und Kokain, das sie überhaupt erst so gut aussehen lässt …
    Ein Schnappschuss: Boner, der allein durch meterhohe Schneeberge zu dem Haus an der Garrison Street stapft. Zu lange gefeiert. Er ist müde und muss dringend pinkeln.
    Das Gebäude besteht aus vier Stockwerken verwittertem roten Backstein. Obendrauf eine Haube aus dreckigem Schnee. Dicke trübe Eiszapfen umgeben den Osteingang. Über der Tür deutet ein vager Schatten gerade noch den dort eingemeißelten Namen an: KENILWORTH ARMS.
    Boner macht sich keine Gedanken um Schlüssel. Die Tür ist meistens offen. Scheiß auf Sicherheit. Im Foyer ist es auch nicht wärmer als auf dem Asphalt der Garrison Street, klamm und kalt wie die Eier einer Leiche. Er sieht die auf Klebestreifen geschriebenen Namen über den Spalten der demolierten Briefkästen, aber nicht über seinem. Er bekommt keine Post.
    Direkt vor ihm liegt ein loses Ende muffigen Teppichs im engen Treppenhaus. Er ist grau bis auf einen großen roten Fleck auf der zweiten und dritten Stufe, der wie Blut aussieht. Boners Stiefel hinterlassen auf dem ganzen Weg bis in den zweiten Stock deutlich sichtbare Abdrücke.
    Hinter ihm pfeift der Schneeregen durch die halb offene Haustür herein und gibt diesen seltsamen Heulton von sich, den er nur in den Nachtstunden hat. Das alte Gebäude stöhnt und ächzt. Boner stellt sich vor, in einem alten, entkräfteten Dinosaurier herumzulaufen, der sich endlich zum Sterben niederlegt. Zurzeit wird das Haus von einem ausländischen Hausmeister verwaltet, an dessen winziger Bürotür im Erdgeschoss »Gebäudeverwalter« steht.
    Er hört Wasser tropfen.
    Der uralte Kenilworth-Aufzug ist holprig, eng und alles andere als sicher. Er sitzt jetzt schon seit Wochen im zweiten Stock fest und stinkt nach Lysol und Katzenpisse. Aber vom zweiten Stock müsste man sowieso den Rest zu Fuß gehen. Das Treppenhaus war nicht von Anfang an so in dem Gebäude angelegt, die Treppen scheinen nachträglich eingebaut; sie sind zu eng und zu steil. Boner kann auf beiden Seiten die Wände berühren, als er die Treppen hochgeht. Eine fette Person würde hier gar nicht hochkommen. Die billige Farbe, die lieblos auf die Wände geklatscht worden ist, ist grau durch all die Hände vor ihm.
    Wenn er im zweiten Stock den Gang herunterblickt, kann Boner sehen, dass die Aufzugstüren einen Spalt weit offen stehen. Die 40-Watt-Birne im Aufzug ist durchgebrannt oder – was wahrscheinlicher ist – zerschlagen worden.
    Und noch eine enge Treppe hinauf. Boner wohnt oben, im Dritten.
    Auf der anderen Seite der verbeulten Aufzugstür im dritten Stock steht ein kleines Tischchen mit einer Kaffeekanne, in der ein paar staubüberzogene Plastikblumen stehen. Der ovale Spiegel darüber ist wundersamerweise noch ganz. Hier oben stöhnen die Dielenbretter wie inkontinente alte Männer, die sich schmerzhafte Fürze abpressen. Aus Fernsehern dröhnt hirnloses, endloses Geschwätz, mitten in der Nacht die Versprechen von unglaublich günstigen Gebrauchtwagenangeboten. Im hinteren Teil des Flurs ist eine Glühbirne defekt. Boner durchschreitet die dunkle Passage und geht dann rechts an einer
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