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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter
Autoren: R Ford
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dem Friedhof drüben, in der anderen Richtung, sehe ich gelbe Lichter in der Hütte des Verwalters, neben der der grüne Kleinbagger von John Deere steht, mit dem die Gräber ausgehoben werden. Aus der Kirche Sankt Leos des Großen erklingt das Glockenspiel und ruft zum Karfreitagsgebet. »Christ ist gestorben, Christ ist gestorben.« (Ich glaube allerdings, es ist »Stabat Mater Dolorosa«.)
    »Ich glaube, ich werde wieder heiraten«, sagt X beiläufig. Wen?, frage ich mich.
    »Wen?« Doch nicht – bitte schön – einen der Klubhauskönige mit den fetten Brieftaschen, einen dieser so gesund und munter wirkenden kräftigen Typen im grünen Sportsakko, die mit ihr fürs Wochenende zur Trapp Family Lodge fahren oder sie zu Spritztouren in die Pocono-Berge einladen, wo sie sich mittelmäßige Komiker reinziehen und sich auf Wasserbetten lieben. Ich hoffe ohne Hoffnung, daß es keiner von denen ist. Ich weiß alles über diese Typen. Die Kinder beschreiben sie mir. Sie fahren alle Oldsmobiles und tragen mit Quasten geschmückte Schuhe. Und es spricht sehr viel dafür, mit ihnen auszugehen, das gebe ich zu. Sie sollen ruhig ihr Geld ausgeben und die verfügbare Zeit genießen. Bestimmt sind es anständige Burschen. Aber sie sind nicht zum Heiraten.
    »Na ja, einen Software-Verkäufer vielleicht«, sagt X. »Oder einen Immobilienmakler. Hauptsache, ich kann ihn im Golf schlagen und herumkommandieren.« Mit hängenden Mundwinkeln und einem aufgesetzten traurigen Lächeln sieht sie mich an und zieht die Schultern wie zu einem Achselzucken hoch. Doch dann fängt sie unverhofft und mit einem Kopfnicken an zu weinen, als wüßten wir beide davon und hätten damit rechnen müssen und als wäre ich irgendwie dafür verantwortlich, was ich irgendwie auch bin.
    Das letzte Mal habe ich X nach dem Einbruch in unser Haus weinen sehen, als sie auf der Suche nach Dingen, die gestohlen worden sein könnten, einige Briefe fand, die mir eine Frau aus Blanding in Kansas geschrieben hatte. Ich weiß nicht, warum ich sie aufbewahrte. Sie bedeuteten mir wirklich nichts. Ich hatte mich vor Monaten mit der Frau getroffen, und auch da nur einmal. Aber ich steckte damals in den dichtesten Tiefen meiner Träume und brauchte – zumindest glaubte ich das – ein Ziel vor Augen, das vom Leben wegführte, auch wenn ich nicht plante, sie jemals wiederzusehen und wirklich vorhatte, die Briefe wegzuwerfen. Die Einbrecher hatten Polaroidbilder von unseren leeren Zimmern im Haus herumliegen lassen, die wir dann fanden, als wir von einer Vorstellung der Thirty-Nine Steps im Playhouse zurückkamen, und dazu an die Wohnzimmerwand gesprayt: »Wir sind die Angeschmierten.« Ralph war schon zwei Jahre tot. Die Kinder waren bei ihrem Großvater im Huron Mountain Club, und ich war gerade von meiner Lehrtätigkeit am Berkshire College zurück und saß mehr oder weniger untätig im Haus herum, fühlte mich so unnütz wie eine taube Nuß, war aber sonst ganz guter Dinge. X fand die Briefe in einer Schublade meines Schreibtischs, als sie nach einem Strumpf voller Silberdollars schaute, die meine Mutter mir hinterlassen hatte, setzte sich auf den Boden, um sie zu lesen, und drückte sie mir in die Hand, als ich mit einer Liste fehlender Kameras, Radios und Angelgeräte ins Zimmer kam. Sie fragte, ob ich etwas zu sagen hätte, und als nichts kam, ging sie ins Schlafzimmer und fing an, mit einem Hammer und einer Brechstange ihre Aussteuertruhe auseinanderzunehmen. Sie schlug sie kurz und klein, trug die Stücke zum offenen Kamin und verbrannte sie, während ich draußen im Garten stand, Cassiopeia und die Zwillinge anschmachtete und mich unverwundbar fühlte, denn da waren ja meine Träume und eine eigenartige Belustigung, zu der mir fast alles in meinem Leben Anlaß geben konnte. Man hätte meinen können, daß ich in diesem Augenblick »in mir ruhte«. Doch in Wirklichkeit war ich Lichtjahre von allem entfernt.
    Kurz darauf kam X aus dem hellerleuchteten Haus, während der Rauch von ihrer Truhe aus dem Schornstein quoll – es war Juni –, setzte sich in einem anderen Teil des dunklen Gartens in einen Liegestuhl und weinte laut. Hinter einem großen Rhododendron im Dunkeln lauernd, redete ich mit Worten voller Hoffnung und ohne Trost auf sie ein, aber ich glaube nicht, daß sie mich hörte. Meine Stimme war inzwischen so leise geworden, daß keiner außer mir etwas hören konnte. Ich blickte hinauf zu dem Rauch, der, wie ich dann erfuhr, von ihrer Aussteuertruhe mit
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